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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]; Verein für Historische Waffenkunde [Mitarb.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 8.1918-1920

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9. Heft
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Gaerte, Wilhelm: Die Beinschutzwaffen der Griechen
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https://doi.org/10.11588/diglit.44570#0293

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9. HEFT

WILHELM GAERTE, DIE BEINSCHUTZWAFFEN DER GRIECHEN

273

Die Nachricht, dafs die Karer die Beinschie-
nen erfunden haben, wie sie uns Plinius, Nat. hist.
VII, 200, erhalten hat, ist belanglos; man hatte
sich in Griechenland allmählich daran gewöhnt,
fast alle nennenswerten Neuerungen der Bewaff-
nung den Karern, diesen Söldnern Kleinasiens
xap zuzuschreiben. Der ständige Gebrauch
von Beinschienen bei diesem Kriegervolke wird
wahrscheinlich Veranlassung zu der Überlieferung
gewesen sein.
Es ist aber auch andererseits zuviel gesagt,
wenn die Beinschiene mit Karo D. S. s. v. ocrea
als eine spezifisch griechische Erfindung ange-
sprochen wird. Wir besitzen nämlich auch aus
anderen Gegenden Spuren dieser Schutzwaffe, so
aus dem Hallstätter Kulturkreise {Mitteil, atts Bos-
nien und Herzegowina III [1895], S. 7, Fig. 8 — 9;
S. 11, Fig. 23 — 24; S. 16, Fig. 39—40). Diese für
importiert zu halten — so Hörnes, Urgesch. der
bild. Kunst (1898) S.- 561 und 609 — verbietet die
völlig ungriechische Ornamentik; schon Ridge-
way, The early age of Greece, 1901, I, S. 437, hat
sie richtiger für „native work“ erklärt. Ob die
griechischen Beinschienen dabei als Modell ge-
dient haben, ist nicht sicher auszumachen.
Überblicken wir noch einmal kurz die Re-
sultate, die wir bezüglich der mykenischen Bein-
schienen aus der Betrachtung der prähistorischen
Monumente gewonnen haben. Der Ursprung die-
ser Beinschutzwaffe ist in den Jäger- und Bauern-
gamaschen der kretisch-mykenischen Periode zu
suchen. Ihr Gebrauch im Kriege ist bedingt
durch die Verwendung des Rundschildes und ge-
schlossener Angriffsformationen. Seit der Mitte
des zweiten vorchristlichen Jahrtausends sind le-
derne Gamaschen bei dem festländischen Krieger
voll im Gebrauch. Deren Formen, die in steter
Wechselbeziehung zum Schilde stehen, sind durch
den verschiedenen Gebrauch so bestimmt, dafs
den vornehmen Kriegern, den „Rittern“, hohe,
über das Knie greifende, dem geringen Fufs-
soldaten kleine, nur den eigentlichen Unterschenkel
bedeckende Schutzgamaschen eigen sind. Ihre
Befestigung geschieht durch Riemen. Spann und
Hacken des Fufses bedecken bisweilen Laschen,
ebenfalls aus Leder, die Vorläufer der späteren
bronzenen und silbernen (Homer) Episphyrien und
der Spann- und Zehenbedeckung. Die kürzeren
ledernen Gamaschen* haben gegen Ende der my-
kenischen Periode als Vorbilder für die Gestal-
tung der bronzenen Exemplare gedient.
' Das Denkmälermaterial, das .uns für die
Kenntnis der Beinschutzwaffen aus mykenischer
Zeit in so reichlicher Menge zuflofs, läfst uns für
die darauf folgende Periode vollkommen im Stich.
Es liegt dies der Hauptsache nach daran, weil

die Silhouettenmalerei jener Tage, wie sie sich
in der Keramik vorfindet, nicht entsprechende
Mittel besafs, um dieses Waffenstück in genügend
kenntlicher Weise zum Ausdruck zu bringen.
Andererseits hätten die Maler jener Periode bei
der Kindlichkeit und Einfachheit ihrer Malweise
es kaum für nötig befunden, etwaige vorhandene
Beinhüllen irgendwie kenntlich zu machen. Aus
einer übermäfsigen Dicke der Waden, wie sie bei
Kriegern verschiedener geometrischer Vasendar-
stellungen zur Geltung kommt, auf das Vorhan-
densein von Beinschienen zu schliefsen — so G.
Hirschfeld, Annali 1872, S. 143, und Helbig, Das
homerische Epos, 2. Auf!., S. 76 —, ist doch wohl
nicht angängig. Andererseits liegt kein Grund
vor, die Existenz von Beinhüllen oder -schienen
der archaischen Periode ganz abzusprechen, nur
weil aus jener Zeit kein bildliches Beweismaterial
vorliegt (so Pernice, A. M. 1892, S. 208, Anm. 3).
Trotz dieses Mangels an ertragreich - detail-
lierten Darstellungen können wir dennoch nicht
so ohne weiteres über die ganze altarchaische
Periode hinweggehen. Wir müssen uns einmal,
wenn auch nur kurz, die sonstige Bewaff-
nung und Kampfesweise jener Zeit vor Augen
führen, vielleicht dafs wir doch den Gebrauch
unseres Waffenstückes für diese Periode ansetzen
dürfen.
Wir haben oben gesehen, dafs dis Bedingun-
gen für die Verwendung der Beinschutzhüllen
in dem Gebrauch des kleinen Rumpfschildes und
einer geschlossenen Attackenformation zu suchen
ist. Wie verhielt es sich nun mit beidem wäh-
rend der vorklassischen Zeit in Griechenland?
Antwort auf diese Frage geben die Denkmäler.
Es kommen hier nur die attischen und thebanisch-
boeotischen Vasen in Betracht, da aus dem übri-
gen Griechenland keine Kriegerdarstellungen vor-
liegen.
Was die Schilde Boeotiens und Attikas be-
trifft, so hat das wesentlichste darüber schon
Lippold, Griech. Schilde a. a. O. S. 449ff., zusam-
mengefafst. Nach, ihm war in beiden Ländern
zuerst der sogenannte Dipylonschild der herr-
schende. „Erst auf den jüngeren Vasen treten zu
den Dipylonschilden Rundschilde hinzu“ (S. 449).
Diese Rundschilde Boeotiens leitet Lippold irr-
tümlich vom Orient her. Das gleichzeitige Auf-
treten orientalischer Elemente im Dipylonstil und
des Rundschildes auf Darstellungen jener Periode
beweist nämlich für die orientalische Herkunft
des letzteren nichts. Oben Anm. 17 ist dagegen
bereits darauf hingewiesen, dafs der Rundschild
schon um die Mitte des zweiten vorchristlichen
Jahrtausends auf dem griechischen Festlande im
Gebrauch gewesen sein mufs.
 
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