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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

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Heft 12 (Septemberheft)
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Bartsch, Rudolf Hans: Von deutscher Liebe
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Bruns, Marianne: Leidenschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0384

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rottbar se>, die Liebe. Die Festlichkeit des LebenS, von der ich immer wieder rede,
muß in einem enormen Gefühl des Geweihtseins Derer ihren Kulminationöpunkt er-
reichen, welche wissen, daß sie lieben.

Nehmt doch irgend eme Sammlung alter, deutscher Liebeslieder zur Hand und ver-
gleicht sie mit romanischen oder slavischen. Jhr werdct erschauern, was da unser
Volk besessen hat an Tiese und Treue und Seele in der Liebe. Und was da wegzu-
gehen droht.

So wie daS alte deutsche Volkslied müßte man sühlen, sogar wenn man öster liebte,
als ein einzigmal. So, wie es damals geschah, da man das Fasten noch ehrte. Nur das
niemals vergessen, was an Jnnigkeit in diesen alten Liedern steht.

Zieh Dir die Geliebte zu dem, waS das Edelste am Skandinavier, Dänen, Angelsachsen
und Deutschen ist: zum Einssein-Können mit der Natur, mit der auch du einS-
sein und blciben mußt.

Dann ist alles gut. R. H. Bartsch

LeidenschafL

^"^u hältst das Bilö eines Menschen in der Hand und betrachtest es. Wer immer
^ l er sei, den das Bilö darstellt: er ist er selbst. Ein so und nicht anders Gewor-
dener. Ein Einmaliger. Niemand ist ihm gleich. Keine kleinste Form in
seinem Gesicht gleicht restlos einer Form im Gesicht irgendeines anderen Menschen.
Und wäre selbst eine Augenbraue gleichgestellt und gleichgefärbt, ein Mund geschwuu-
gen wic ein anderer: sie wären dennoch, allen Messungen zum Troh, andere, öenn
sie drücken jeder etwas anderes aus. DaS Auge des Menschen sieht dich aus dom

Bilde an. Als der Blick sestgehaltcn wurde, sah er nicht dich, wußte viclleicht nicht

einmal von dir. Dieser Mensch aus dem Bilde kommt auS einer Geburt, die nur

ihm gehört, geht in einen Tod, der nur ihm eigen ist, und sein Weg ist völlig einsam.

Niemand kann seinen'Weg mit ihm gehen, du kannst ihn immer nur kreuzen. Es
scheint dir sast, da er im Bilde in seiner geschlossenen Einzigart vor dir steht, als
sei er unberührbar. Aber du wendest dich um: der Abgebildete steht lebendig vor dir,
und du siehst sogleich, daß du dieses Mcnschengesicht berühren und bewegen kannst.
Deinem sorschenden Blick antwortct Frage, deinem Lächeln Lächeln, deiner Frage
Bereitschast, und du begreisst sogleich das ewig bewegte Wechselspiel der Kreuzungen,
die das lebendige Gesicht gestalten, begreisst das Berhängnishaste der Begegmmg.
Denn alles, was der Eine wird, wird er aus sich und dem Anderen. Nicht ich allein
bin „ich", sondern erst ich und die Summe des Begegnenden sind zuleht ich selber.
Jn ununterbrochenem Strome begegnet das Lebendige dem Menschen und formt ihn
um; unmerkbar wie ein Hauch, tropsenweise unö unaufhörlich, oder stürmend, gewalt-
sam, glühend. Liebesleidcnschaft ist das Gewaltsamste, das aus allen Begegnungen
mit dem Lebendigen entstehen kann. Heraussordernd bis ins Letzte, umstürzend, schein-
bar unzusanunenhängend mit allem Dorherigcn. Niemand begreift, wie sie entsteht.
Schon in der Beschasfenheit von Mann und Frau licgt das Rätselhafte begründet.
Sind sie nicht sast einander gleich? Welchem unter allcn Lebewesen, die je auf dieser
Erde wohnten, ähnelt etwa die Frau mehr als dem Manne? Aber auch welchem Lebe-
wesen wäre sie fremder als dem Manne? Ein Blumenblatt, ein Stück Kohle, ein
Tintenfisch, ein Elefant schemen weniger sremö als er. Aus tiesster Berwandtheit
und tiefster Fremdheit gemischt ist der Zauber der Begegnung, aus welcher Leiden-
schast ausbricht. Das Gesetz der Leidenschast wäre sehr einfach zu erkennen, wenn
sie aus jeder Begegnung zwischen jedem Mann und jeder Frau folgte. Aber das Ber-
wirrende ist, daß tausende, daß zahllose sremdvertraute Andersgeschlechtige am Men-
schen vorüberziehen, ohne daß die gewalttätige Flamme aufspränge; aber plötzlich, für

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