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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

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Heft 11 (Augustheft)
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Der Vater
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Von den Kräften der Schlichtheit
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0346

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Der Priester sprach sanft ans Breitenschnitt ein, daß sie doch wahrllch noch nicht in
dem Alter sei, anderen zn helfen, daß ihre stille schüchterne Seele selber der Hilfe nnd
Stütze bedürse nnd sie deshalb ins Kloster gegangen sei nnd sich den srommen Schwe-
stern angeschlossen habe. Es könne ja wohl geschehen, daß, wenn man ins Kloster
gegangen, später dann ernste weltliche Pflichten an den Christo Gelobten heranträten
nnd ein Zagen nnd Zittern brächten, ob man recht gehandelt und nicht doch dem, was
Gott gewollt, vorgegrissen —.

„Ja, so ist eS," siel Breitenschnitt ein. „Es ist vorgegrissen, wenn man noch nicht
weiß, was Gott von uns will! und eigenwillige Wege geht."

„Grübelt nicht! Wir können nnr geduldig dessen harren, was Gott uns schickt. Liebt
Eure überlebende Tochter mit aller Liebe, die sghr habt!"

„Sie ist sern," sagte Breitenschnitt nach einer Weile, „imd bleibt sern!" Er barg den
Kopf in den Händen. Es war nicht erkennbar, vb er von der Lebenden oder der
Toten sprach.

Von den KräfLen der GchlichcheiL

»^us politischem Wege ist alles Leben stets betrogen. Bei uns hat es aus diesem
l Wege der Arme bestenfalls zu dem erhebenden Bewußtsein gebrachk, daß er
wenigstens von seinen eigenen Leuten beschissen werde. Was immerhin ein Trost
des Arbeiterkreuzers gegenüber jcnem des Panzerkreuzers ist.

Bor gar nicht langer Zeit saß ich mit zwei „vollkommen großen Männern" (der Jn-
dustrie und deS Handels) beisammen. Der grand marnier hatte ihre Herzen ebenso
behaglich geössnet, wie die Henry Clay. Da ich Offizier gewesen war und als Dich-
ter obendrein alleS zu verstehen und zu entschuldigen habe, auch daß sie über schlechte
Zeiten klagen konnten, erössneten sich ihre Herzen zu solgendem, anerkennenswert
anfrichtigen Seuszer:

„Es i st nicht anders und wird nicht anders. Ehe nicht —"

„Ehe wir nicht wieder den Krieg haben. Der nns so sehr sehlt," crgänzte dcr
Andere.

Und beide sahen sich in verklärter Erinnerung in die Augen. Wie zwei alte Dichtcr,
die von ihrer einzigen, großen Liebe reden. Tränmerisch, beseligt, himmelnahe. Diese
edle Wehmut blieb auch in ihren Blicken, als beide klagten, daß sie bloß im Daimler
und immer noch nicht im Rolls royce fahren könnten, wie etwa die russischen Macht-
haber. Und: Jm vielverschrienen Österreich wurde zur selben Zeit in Wien solgende
bemerkenswerte Rede gehalten:

„Wie soll hier, hier? der Kauf- und Erwcrbsmann auch nur noch vegetiercn können"
(vegetieren hieß tropisch vegetieren) „in einem Lande, in dem, dreißig Kilomctcr von
Wien, der DolksgrundsaH Geltnng hat: »Je älter der Hut, desto besser der Mann«?
Wo dic kurze Lederhose drci Gencrationen ausdauert und die genagelten Goiscrcr-
schuhe mindestens eine!? Wie und von was sollen wir lebcn, in einer solchen Umge-
bung, mit solchen Menschen!? Nun, meine Herren?"

Worauf vielerlei gute Ratschläge erfolgten, wie man das Luxnsbediirsnis und die un-
zusriedene Wnnschsucht des Dolkes heben und crregen könnte.

Jch aber dachte mir: „Guter Ostreicher, dir hat man im Auslande gcwaltig unrecht ge-
tan. Du bist schon der richtige Mann. Man redet in den Zeitungen von dir nie. Man
redet, als wärst auch du derjenige, der den Luxus herbeischreit; während doch bloß
die schreien, die gerne deinen Lurus zur Erhöhung des ihren brauchtcn."

Damals sah ich, daß heitere Genügsamkeit eines Dolkes scine größte Kraft ist.

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