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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

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Heft 11 (Augustheft)
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Schumann, Wolfgang: Lebenskunst: ein Programm
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0307

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XXXlX-

Lebenskunsi

Ein Programm

ie Bahn der Gefahren nnd der Einbildnngen scheint beschritten, wenn Lebens-
knnst zur Lehre wird.

„Jmmer daran denken, nie davon reden!" so erwi'derte einnial ein Witziger aus
daS Wort.

Und können wir sie denn lehren? Wer es prartisch versucht, wird der nicht alsbald
merken: Es ist die Ausgabe dcr gesamten Lebensgestaltnng, erst einmal den Boden und
die Atmosphäre zu bereiten, damit Lebenskunst überhaupt mögIich werde, bevor
es sich verlohnt, dem Einzelnen ein Wort zu sagen —? So daß also jegliche Lebens-
knnst-Lehre heute „utvpistisch" wäre? Jndessen, welche andere Kulturlehre wäre
das nichtl? Stehen wir nicht überall schon hart an den Grenzen? Jn der Tat! Diese
ungchcure Krise, wclche der Kricg rascher, als eS irgend eine Entwicklung vermocht
hätte, übcr uns brachte, die allgemeine Not der Armut, des unwicderbringlich zerstörten
Traditiongesühls, des Zukunftglaubens ohne Krast und Zielklarheit, der zerrütteten
Jnstitutioncn, Gesittungen und Lebensbahnen, dieser Niedergang, dieses allgemeine
ächzende Abwarten — sie bedcuten nichts andres, als daß Hilfe nur in größtem Maß-
stab kommen kann, wenn nicht täglich immer größere Berluste die Kleinarbeit aus
jedem Gebiet zur Sisyphos-Arbeit machen sollen.

Aber diese ties düstere Nein-Seite hat eine kleine, lichte Ja-Seite. So wem'g wir
im Großen ausrichten können, umso nachdrücklicher sind wir auf daS Wirken im
Kleinen verwicsen und stehen nun im Begriss, zu ersassen, daß die von Mensch zu
Mcnsch wirkende „Kleinarbeit", und gerade sie, das Eigentliche und viellcicht das
Einzige ist, waS wir vermögen und was Hossnung läßt. Wir gleichen dem Gescheitcr-
ten, dcr aus ein scheinbar ödes Eiland geworsen wurde; als cr aber auöschritt aus
dem neuen Boden, sand er sruchtbares Land . ..

Auch jetzt noch bleibt das wahr nnd dars nie vergessen werden: Bitter und weit
wogt daS Leben über unscre kleinen Bcmühungen hinaus. Uncndlich wenig können
wir hclsen. Der einsachste „Fall", zu dessen hilsreicher Lösung nnS das Leben bcstellt,
ist noch sinnlos verwickelt und verfilzt und erheischt die Beredsamkeit eines Engels
nnd die Suggestivkraft eines Magiers. Schaut in die Akten eines dürftigcn Zivil-
prozesseS, und alsbald grinst euch eine Summe von fehlbarem Erwerbtricb, von Miß-
gnnst, Mißtrauen, Schadensrcude, Neid, Wut, Haß und selbstgerechter Berächtlich-
kcit entgegcn, vor dcr einem Starken noch bange werden kann; laßt cuch cin kleines
Lcid eines einfachen HerzenS ganz erschließcn, und ihr crblickt schaudernd, wic die
Ouellspuren davon zurückleiten bis in die Kleinkindtage des Leidendcn, wie salsche
Erziehung, schadenstiftcnde Umwclt, Jrrungen in nnklarer, führerloser Jugendzeit,
längst nnansrottbar gewordene Gewohnhciten, Sünden der Gesamtheit nnd cbcnso
schuldlose Bersnndigung des Einzelnen all solches Leid vernrsacht und besestigt habcn
— nnn schneiden die Fesseln ins Fleisch, nun windet sich der Arme in der grvßten
Not, nnn rächt sich an ihm cigene nnd noch mehr fremde Schnld — — nun hilf,
Meister! nun grcise zu nnd greife ein, Lebenskünstler! . ..

'Aiigustheft 1926 (XXXIX, 11)

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