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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

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Heft 9 (Juniheft)
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Schumann, Wolfgang: Das Schundkampf-Gesetz
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0202

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Das Schundkampf-Gesetz

<^>-^.ieder einmal kobt der Karnpf. Die Zensnr ist anfgehoben. Die ihr nach-
^ >roeinen und toieder nach einer Zensur auf allerlei Umwegen trachten,
sind gemeinhin nicht eben die berufensten Hüter geistiger und slttlicher
Kultur. Nur in einer Richtung schließen sich auch Berufene sehr zahlreich dem Be-
streben an, Einschränkungen tvenn nicht der Herstellung — so doch der Feilbietung
>— und Verbreitungfreiheit von Bildungstoff (im weitesten, geistrg neutralen
Sinne!) wieder einzuführen: in der Richtung „S ch u tz der I u g e n d". Von jeher
haben auch entschiedene Gegner der Zensur anerkannt, daß die Jugend anders zu
behandeln und zu bedenken sei als die Erwachsenenwelt. Wer einigermaßen Einblick
in Wesen, Vertrieb und Wirkung der eigentlichen, unbestrittenen Schundliteratur
hat, pflegt zu behaupten, daß es sich da um eine Seuche handelk, deren Gefährlich-
keit in ihrer Art nicht hinter der etlicher Geschlechtskrankheiten oder anderer Dolks-
vergiftungen zurück bleibt. Jn diesem Sinne wenigstens ist auch neuerdings wreder
und immer wieder der „Schund" von seinen Kennern dargestellt worden. Was
läge also näher, als daß man den Seuchenerreger mit allen verfügbaren Mitteln
austilgt, zumal das auf den ersten Blick nicht eben ein großes Kunststück scheinen
mag —? Und doch sind die Schwierigkeiten, das durchzuführen, fast unüberwindbar.
Zunächst gibt es kein Berfahren, um den Jnfektionskeim einwandfrei festzustellen.
Das „Verfahren" müßte offenbar eine Definition des Schundes sein. Aber diese
Definition müßte so scharfe Grenzen ziehen, daß kein Werk miterfaßt würde, dessen
Lebensrecht sich aus geistigen oder künstlerischen Werten herleitet; sonst würde das
Schundgesetz alsbald zu einer neuen Zensur. Langjährige Erfahrung, oielfältige und
mit Scharfsinn, von Einzelnen und von Arbeitgemeinschaften unternommene Versuche
haben gelehrt, daß diese Definition nicht möglich ist. Man stößt ganz einfach an die
Grenzen der Leistungfähigkeit der Sprache; es gibt nicht so feine und zugleich so scharf
treffende Worte, um genau, unmißverständlich und auch von Böswilligen nicht falsch
auslegbar zu bezeichnen, was „Schund" ist. Jedermann glaubt es zu wissen; ja,
alle Kundigen „wissen" es wohl wirklich; aber mik Wort und Satz kann man eS
nicht ausdrücken; merkwürdig, aber wahr. . .

Die Reichsregierung hat dementsprechend einen fast „kühnen" Schritt gctan: in
ihrem Schutz-Gesetz-Entwurf läßt sie den Schund u n definiert! Man will den zur
Prüfnng des Schrifttums zu Berufenden einfach überlassen, aus ihrem Gefühl
heraus zu beurteilen, was Schund ist. DaS ist gewiß keine Lösung des jahrzehntalten
Problems, aber ein noterzwungener Ausweg. So weit wäre die Angelegenheit in
Ordnung. Nun aber taucht ein neues und noch schwierigeres Problem auf: Wer
soll Bollmacht erhalten, über den Schundcharakter irgendwelcher Erzeugnisse zu
Gericht zu sitzen? Jn dieser Hinsicht befremdet es zunächst, daß die Reichs-
regierung, die wahrlich allen Grund hätte, diese Angelegenheit dem Reich vorzu-
behalten, unnötigerweise, ja zum Nachteil der Sache das Errichten von „Prüf-
stellen" den Ländern überweist. Anstatt für eine so gemeindeutsche, in keiner Weise
an Länder gebundene Sache eine große, eventuell von den Ländern mitzubeschickende
Zentralkörperschaft zu schaffen, in welcher sich enge Sondergesichtpnnkte dann
ganz von selber nicht durchsetzen könnten, will die Regierung kleine Landesprüf-
stellen schasfen lassen und ebnet damit der kurzsichtigen Falschbeurteilung bereits die
Wege. Ein schwerer und unbegreifbarer Fehler! Umso größer, alö die Landes-
stellen Verbote für das ganze Reich aussprechen sollen!

Wer aber soll nun in die Prüfstellen hineinkommen? Zunächst ein Beamter.
Man kann sich in Deutschland anscheinend nichts mehr auSsinnen ohne jenen
obligaten „Beamten", an dessen Neutralität man zu glauben vorgibt, nnd der

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