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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

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Heft 8 (Maiheft)
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Poensgen, Georg: Die "Neue Sachlichkeit" in Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0127

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Die „Neue Sachlichkeit" in Pari/

ie sranzösische Jltalerei der Gegenwark unLerscheidet sich im allgcmcinen nur

wenig von der der Vorkriegszeit, als Renoir noch lebte. Utrillo, dessen

Bilder augenbllcklich ln sast allen modernen Kunsthandlungen von Paris
zu sehen sind, während er selbst, am Ende seiner Produktivität, einer Geisteskrank-
heit mehr und mehr vcrfällt, und Derain, der sein Schicksal teilt, waren höchst
begabte Fortsetzer der großen Jmpressionisten. Jhre Arbeiten, ost ganz minder-
wertig, ost, wie zusällig, von erstaunlicher Oualität, bilden das Tagesgespräch
und erzielen hohe Preise. Man ist sich ihrer Mängel ost ganz klar bewußt, aber
man will eben, wie ehedem, seine großen Leute haben, mit denen man Kult treiben
kann. Und während Matisse, die Laurencin, Chagall und Picasso daS jedem von
ihnen eigene, sehr anständige Niveau behaupten und darin viel BessereS leisten
als die ncuen Jmpressionisten, läßt man sie gelten und achtet sie nach Gebühr.
Von Utrillo und Derain aber ist man begeistert.

Es liegt sehr viel Sympathisches in dieser echt sranzösischen Einstellung. Sie
schasst eine Basis selbstverständlicher Anerkennung, die uns in Deutschland noch
sehlt und die dem Publikum die Freude an Kunst leichter nnd die Produktivität
der Künstlcr harmloser macht. Bei der allen Franzosen innewohnenden Neigung
zum Süßlichen, zum Kitsch entstehen daher allenthalben Bilder, denen man die
Herkunst aus der Schule des Jmpressionismus und die Anlehnung an die genannten
Tagesgrößen gleich anmerkt. Sie sind an sich völlig belanglos, aber sie sind selbst-
verständlicher, sröhlichcr gemalt, als die gleiche Kategoric im übrigen Europa,
und das macht sie denn auch viel genießbarer als diese.

Alles in allem aber ist es niederdrückend, wie wenig Neues in Paris aus dem
Gebiet der Malerei geleistet wird. Der allgemeine Eindruck ist der ciner pro-
blemlosen Selbstgesälligkeit, und man wüßte nicht, wohin das sühren sollte,
existierte nicht, vorläusig noch verhältniSmäßig unbekannt, eine Gruppe jüngcrer
Künstler, die über die verschiedenen erschöpsten Bestrebungen der Kunst in den
letzten beiden Jahrzehnten hinauS ganz eigene und neue Wege geht.

Jhre Hauptvertrcter sind Leger, Metzinger, Herbin, Bolmier und Survage.
Mchrere Ausländer, vor allem Italiener, die in PariS wohnen, haben sich ihnen
angeschlossen. Der Salon Leonce Rosenbcrg in der Rue de la Baume stellte sich
ihnen zur Versügung, und in seinen Räumen kommen sie, einander gegenseitig er-
gänzend, vorzüglich zur Wirkung.

Das Fortschrittliche ihrer Art beruht nicht aus cinem bestimmten Programm —
nicht einmal aus einer gemeinsamen, ausgcsprochenen Richtung. Auch nimmt keinc
hervorragende Könnerschast sür die meisten von ihnen ein. Es ist vielmehr der
osscne Bekcnnermut, das augenblicklich Wirkungsvolle und Notwendi'ge auszu-
drücken, dcr sie alle so sympathisch macht. Sie sagen uns das, was wir brauchen.
Wir sind aller Grübeleien und Zersetzungen müde geworden. Das Alltagsleben
ist viel zu hart und eindringlich, als daß wir es noch übersehen und hinter dem
Schönen verstecken könnten. Nur das scheint noch künstlerisch berechtigt, was greis-
bar mit der Wirklichkeit in Vcrbindung steht — als Abbild, Übertreibung, Rekon-
struktion oder Traum. Wir wissen vom JmpressioniSmus her, waü wertvoll ist als
beschaulicher Eindruck in der Natur. Der Expressionismus sührte hinter öas
Wesen der Dinge und darüber hinaus zur Abstraktion des Begrisslich-Faßbarcn.

' Zu diesem Aufsatz gehöreu zwei von den Kunstbeilagen dieseg HefteS, die wir mit Erlaubnis
des Herrn Leoncc Rosenberg in PariS wiedergeben. Es sei an dieser Stelle dcr Nanie des
Ilrhcberü dcr Abbildung „Die Siphonslasche" berichligt, der, wie sich aus dein Aufsatz crgibl,
nichk Seger, sondcrn Leger hcißt.

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