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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

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Heft 11 (Augustheft)
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Aussprüche von Egidy
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0325

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Äusfprüche von Egldy

„Was verstehen Sie — nämlich ich — unter »christiichern Gedanken«?" Jch sinhd
diese an mich ergangene Frage roohl schr berechtigs aber mit eincr bündigen „Er-
klärung" sinde ich Sie nichh sinde ich mich nicht ab. Jch hasse die Erklärungen, tveil
sie „eherne Gesetze" schassen, — ich mag aber riichts von „ehernen Gesetzen", ich mag
nur von „lebendigem Leben" etroas wissen, ich mag keine Buchstaben, ich roill Geist.
Ja, Geist! der christliche Gedanke ist sür nüch der Geist, der mir aus dem Evan-
gelium, will sagcni auS den Schriften des Neuen Testaments entgegenweht. Der
Heilands-Geist.

Dcm zum Unterschiede wird sich der neue Gottesbegrifs im wesentlichen dahin charak-
terisieren, daß wir die Gottheit als die Gesetzmäßigkeit anerkennen, als etwas mehr
Sachliches, als das Gesetz, meinetwegen sür den, dem es so richtig erscheint, mit
einenr Gesetzgeber hinter, neben oder über dcm Gesetz. Aber doch immer bleibt das,
was auf unö wirkt und womit wir es zu tun, uns abzufiirden haben, cin unwandel-
bares Gesetz, eine Gesetzmäßigkeit. DaS ist der Unterschied.

— Eö gibt wirklich nur noch eine Hilse, das ist ein dem Deutschtum verständliches
Christentum.

*

Mir nützt einc Ethik, ein Christentum, etwas Religiöses nichts, was nicht umgcprägt
werden kann als gangbare Münze sür unser öffentliches Leben. Hole der Teufel
die Ethik, die sich nicht im politischen Leben verwerken läßt!

sssch halte die Frage, ob eine wissenschaftliche Begründung von Ethik und Moral in
dem Sinne, wie es einigen Ethikern vorschwebt, überhaupt möglich ist, für noch
ungelöst. Jch sehc vor allcm die Notwendigkeit einer derartig wissenschaftlichen Be-
handlung nicht ein. Dinge, die gcfühlt, empfunden, gelebt sein wollcn, lassen sich
nicht rubrizieren. Für „Gut und Böse" lassen sich keine mathematischen Formeln
erdenken; schon deshalb nicht, weil diese Begriffe der Wandlung, der Vervollkomm-
nung unterstehen. Für etwas, was wächst, lassen sich nur „jeweilige" Regeln auf-
stellen. Zudem steht hinter der wissenschaftlichen Behandlung von Degriffen immer
das Gespenst: Dogma; wir könnten bei einenr wissenschaftlichen Moralisieren genau
so versumpfen, wie wir im dogmatischen Kirchentum versumpft sind. Den Gedanken,
die Ethik oder Moral „an die Stelle" von Religion setzen zu wollen, halte ich beshalb
für keinen glücklichen. Jch bleibe dabei: wenn wir allzeit eine wohlüberlegtc Unter-
scheidung zwischen Religion und Konfession machen, werden wir allmählich auch die
(vermeintlichen) Gegner deS Religiösen mit der Tatsache aussöhnen, daß der Mensch
keine mathematische Figur, sondern „ein Geheimnis" ist.

Versöhmmg heißt nicht die Ubcrtünchung der Gebrechen unsrer Zeit, nicht die Ber-
schleierung der Mißständc, die unscr heutigeS System zeitigt; nicht Vertuschung
der Verfehlungen einzelner; nicht Beschönigung der Unkaten Gewaltiger; nicht er-
klügelte Uberbrückung von Gegensätzen, nicht ein unnatürlicher Ausgleich notwendiger
Verschicdenheiten; nicht, nirgends, auf keinem Gebiet und bei keincr Gelegenheit
cin Pakt mit dem Unvollkommeneren, sobalö eine vollkommenere Erkenntnis uns
beherrscht; kein Friede rnit dem Übel; keine Nachgiebigkei't (Korizession) gegenüber
der Halbheit, der Unduldsamkeit, der Herrschsucht, der Regierwut, dem Führerdünkcl,
der Ungesittung, dem Vorurtcil; kein Zugeständnis gegenüber der Tyraimei eincs

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