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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

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Heft 9 (Juniheft)
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Schumann, Wolfgang; Molo, Walter von: Offene Briefe, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0163

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Xvxxr-nrx.ki' XXXix-

Ofsene Briefe

i.

Wolfgang Schumann an Walter von M o I o
Lieber Walter!

(^^,st das nicht heilloser als heillos, daß dieses Schundkampf-Gesetzchen
^nicht aus der Retorte kommen kann? heillos nicht nur, weil nun ein kleiner Schritt
zum Niedertreten einer Seuche ungetan bleibt, mehr noch, weil dieseS Nichttoerden
das furchtbare Mißtrauen kraß ossenbart, das unser Deutschland zersetzt? Es
ist also wirklich keine Jnstanz anerkannt sauber und sair genug, daß die Mehrheit
der Beteiligten ihr die nottvendige Bollmacht zum Kampse zu sreiem Gebrauch über-
lassen möchte. DaS ist das ofsene Geheimnis der Lage! Oder meinst Du, tvir
hätten noch den kleinen Trost, eine unangreifbare Jnstanz wäre eigentlich noch da,
nur fehlte ihr das Bertrauen der Anderen? Dann wäre also das herrschende Miß-
trauen nur eine Volkskrankheit im eigentlichen Sinne: Jnfektion des Gelstes, und
kein positiver Anlaß stände dahinter! Aber ich sür mein Teil kann das nlcht glauben.
Bloßes, unberechtigteö Mißtrauen wäre schlimm, aber daß es berechtigt ist, das
scheint mir noch schlimrner. Die Regierung mißtraut Allen; sie trachtet erservoll
danach, die Angelegenheit Bcamten zu unterstellen und die übrigen Mitwirkenden so
zu gruppieren, daß Volksbildner, freie Berufe, Jnteressenten und kirchliche oder un-
kirchliche Jugendpsleger einander die Wage halten. Ja, die Reichsregierung —- lro-
nisch genug — scheint sich selber zu mißtrauen und schiebt die Sache darum den
Ländern zu. Daß die kirchlichen den freien Berufen mißtrauen und diese jenen, wen
nimmts noch wunder? Daß die Dolksbildner von den Künstlern und Schriftstellern
mißtrauisch begrüßt werden, wer hätte es nicht vorausgesehen. Daß wir alle den
Länderregierungen skeptisch gegenüberstehen, daß wir alle politischen Mißbrauch sach-
licher Machtmittel argwöhnen, wie tief beleuchtet das unsere Lage! Aber kannst Du
Dich an eine Zeit erinnern, da das öffentliche Spiel fair gespielt worden wäre?
Und wenn eine Gruppe, wie ich es von den Volksbildnern annehme und von den
freien Berufen weiß, sachlich vorzugehen gesonnen wäre, so bliebe noch das Miß-
trauen in ihrer Einigkeit! Unendlicher Streit der Meimmgen, altgewohnt und
hartnäckig geübt, bliebe zu erwarten. Jmmerhin. .. eS ginge doch wohl. Aber es
geht eben nicht. Wir zerfleischen einander um Materielles und Jdeelles, und daß
ein bißchen Selbsterziehung zur Sachlichkeit auf allen Seiten allein das maßlos
zerrüttete Vertrauen und Gemeinvermögen wiederherstellen könnte, will nicmand sehen,
und keiner will den Anfang damit machen, schlicht und recht — anständig zu sein.
Ubrigens — in einem Brief darf mans wohl sagen: mit gänzlich prall-vollen
Segeln fahre ich in der Schundkampf-Sache nicht. Sogar im Sachlichen selber
bleibt man „nüßtrauisch", freilich auf Grund rechter Erfahrung und zuletzt unver-
meidbar. Jch mcine dieS: Hast Du je etwas von der so drohend verkündeten Gefähr-
lichkeit des Schundes selber gespürt? an Dir? an Deinen Kindern? in Deiner Um-
gebung? Jch nicht! weit und breit nirgends. Und wer versichert unS nun der
Riesengröße der Gefahr, auf wessen Bürg-Wort hin haben wir den Kampf so ent-
schlossen geführt? Seltsame Zweifel am Wert der öffentlichen Meinung beschleichen

Junihest 1926 (XXXIX, g)

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