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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

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Heft 11 (Augustheft)
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Schumann, Wolfgang: Lebenskunst: ein Programm
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Häfker, Hermann: Ein deutscher Mensch: zum Verständnis und zur Auferweckung eines Toten
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0316

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halb deren die Übung der Lebensknnst selber nahezu unmöglich erscheint. Jst
dlese doch erslchtlich nicht unabhängig von einer getoissen Gesichertheit unö Freiheit
der äußereu Lage, vom Genossenhaben etlicher „Bildung" in der Jugcnd, von Zeit
haben und Kraft haben ... Und „Unglückssälle" vollends vernichten srech und unent-
rinnbar oft genug auf lange Zeit, auf Lebensdauer die ertoorbenen Früchte; Un-
glückssälle, Krankheit, Tod geliebter Menschen. Doch gerave das Problem des Un-
glücksfalles fordert uns hintoiederum zu einer letzten Bcsinniing anf. Wohl ist unS
Herkunft und Sinn des zustoßenden Unglückes unerforschlich. Das aber toissen wir,
daß der Eine die äußeren Widerfahrnisse, mögen sie selbst Schmerz bringen und Leid
zufügen, sto-k und kühn hinnimmt und überwindet, während der Andre ihnen auch
dann hilflrs unterliegt, wenn sie nicht cinmal allzu furchtbar sind. Waü aber die
beiden unterscheidet, ist nichts andres als bewußte oder unbewußte Lebenskunst hier,
Mangel an Lebenskunst dort. Lebenskunst heißt: jedes Schicksal, sei es schwer oder
leicht, fri chtbar machen, ins Bessere wenden, als es ohne sie möglich wäre. Wi'e
abhängi; wir in gewissem Sinne auch seicn vom undurchdringlichen Gefchick, so ver-
mögen wir ihm doch je nach dem Maße unserer Lebenskunst mehr oder weniger
„Glück" abzugewinnen. Verspricht Lebenskunst nicht, daß wir glücklich, so doch:
daß wir glücklicher sein werden mit ihr als ohne sie.

Ein letztes Geheimnis aber sei nun berührt. Es scheint wohl, als ob das nußere Ge-
schick uns beschieden sei von fremden und blinden Mächten, die unsere Würdigkeit
nicht werten noch berücksichtigen. Als ob unS ni'chk nach Verdienst, sondern aus Laune
unser Los zugeteilt werde. So scheint es. Doch eine unbegreifliche Ahnung wider-
sprlcht. Sie sagt: Es besteht ein tiefster, verschleierter Zusammenhang zwischen We-
sensart und Erlebnisart, Schicksal und Charakter. Sie vermag uns zu dem kühnen
Satz: Es gibt keine Schicksaltragik hier, Charaktertragik dort; auch das Schicksal,
wie die Anlage der Persönlichkeit, ist nicht „gegeben", sondern es „ist" nur das, was
wir „daraus machen"; wir machen aber darauö, was unser Charakter
vermag: Schicksal und Charakter sind eins. So schreitet die Ahnung kühn
vor zu dem Glaubcn, daß, spätestens in cinem höheren Stande des Mcnschtumö
als der durchschnittliche von heute ist, der Mcnsch das Schicksal seiner Kraft werde
unterwerfen können. Lebenökunst hieße dann die erworbene Macht, das Schicksal zu
meisiern. Große Menschen zu allen Zeiten bekanntcr Gcschichte haben das vermocht,
— eS ist als letzte Kunst aller Künste der Menschheit verheißen, und jeder Einzelne
ist berufen, eine Zukunft gemeisterten Schicksals mit heraufzuführen. Sch

Em deutscher Mensch

Zum Versiändniö und znr Auferwccknng eines Totcn

Als im Anfang der neunziger Jahre Moritz v. Egidy, „Oberstlicutenant und
etatsmäßiger Stabsoffizier im Kgl. Sächs. i. Husaren-Regiment Nr. 18", seine
„Ernsten Gedanken" gegen den Widerspruch von Dogma und Bolksverstehcn, von
Chrisientum und Kirchenlehre, von bekanntcr Religion und rcligionslosem Lebcn ver-
öffentlichte, sah es eincn Augenblick aus, als ob ciner der mächtigstcn Stützpfeiler
der europäischen Weltherrschaft und des europäischen Weltelends, die Kirche, in
ihren Grundfesten wankte, und als ob noch einmal am Ende dcö zwanzigsten Iahrhun-
derts unter der Führung eineö wahrhaft gotterfüllten Propheten cin gcisti'g-politifcher
Kreuzzug zustande kommen sollte. Es wurde nichts. Was sich als bereitwillige Ge-
folgschaft Egidys zusammenfand, was aus den unzähligen Flugschriften für und
wider eifcrte, war nichts, als das wohlbekannte erbärmliche Reformcr-.und Sektie-
rertum, daö den Tag des SiegeS über einen verhaßtcn Feind, besonders im Ver-

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