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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

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Heft 10 (Juliheft)
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Viertel, Berthold: Das Theater ist tot! - Lang lebe das Theater!
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Gedichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0247

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versassers, wie Pirandello, weil er den Schein über die Wirklichkelt zu erheben scheink
und mi't der Bühne spielk, statt aus ihr zu leben, eine sättigende Nahrung gefunden
zu haben. Einer Wiederbelebung des individualistischen Theaters käme ber uns zugute,
daß weder der Schauspieler noch der Dramatiker je den Jndividualismus wirklich
ausgegeben hat; während in Rußland das dynamische Jdeentheater Gemeinschafts-
sache und volkstümlich zu werden vermochte.

Der Expressi'onismus aber, an dem die Erneuerung des Theaters einen verläßlichen Halt
gesunden zu haben glaubte, beugte sich, gab sich aus vor den harten Wirklichkeiten, deren
eine, nicht die geringste, die ideelle Wstumpfung nach kurzem, aufslackernden Aus-
schwung ist. — Wie lange ist es her, daß Expressionisten die Negerplastik und das
Bauernbarock und andere ewig neue Weltkunst und ewig alte Weltkünste siegstrahlend
entdeckten, um sich, von ihnen angeregt und bestätigt, über Zeit und Raum hinwegzu-
setzen, zurück ins Chaos und von da mit einem unendlich verkürzten Sprung in die letzte
Freiheit? Daß sich siebernde Augen, die der Krieg nicht ausgeschossen hatte, über Kln-
derzeichnungen und die Malereien der Geisteskranken beugten, die Siegel des Ur^
tümlichen und Unbewußten entziffernd und das geheime Wesen der Dinge, daS sie da
enträtselten, höher achtend als alles, was Lionardo da Vinci-Hände in überdeutlicher
Handsch-rist, in Schönschrift gegeben haben! Wie lange ist es her, daß die Jugend der
Zeit der Revolution des Raumes Bilder schus und alle sertige Welt in Kräste zerleg-
te, wie um diese Kräste zum Ausbau einer nagelneuen Welt sreizubekommen? — Ach,
dieser Aufbau geht langsarner vor sich und muß gründlicher getan werden, als die
erste Entzückung eS sich geträumt hat. Man muß Schritt für Schrikt vorwärks,
und das Allerneueste, das nottut, ist eine neue Solidität.

Wir sind so alt, wir sind so jung. Wir sind beides glelchzeiti'g. Die alteit Dings
gehen weiter, die jungen Dinge stocken — und gehen dann auch weiter —. DaS
Theater ist tot! Es lebe das Theater! Cine Spielzeit ist zu Ende. Eine neue Spiel-
zeit wird beginnen. Jmmer wieder beginnt sie. Ganz gleichgültlg, ob dann wirk-
lich die Zeit sein wird, um,zu spielen. Der Schauspieler splelt! Und das ist einer
öer letzten Berufe aus Leidenschast. Berthold Viertel

GedichLe von W. von Grumbkow

Jm alten Gent

D)ackige Giebel schweigen
^PGeheimnis versunkener Pracht.

Wasser spiegelt Nacht,

Huschender Lichter Reigen.

Uber dem Wasser dunkelt
Nachtschwarze Kirchenwand.

Auf Gassen und Brücken munkelt,
Was der Tag zu den Toten gebannt.

Nachtspaziergang

ciVP>eiche lichte Mondenstille
'^^Überm weiten Land.

Mild geworden Weh und Wille
Und gelöst, was band.
 
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