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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

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Heft 7 (Aprilheft)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0058

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Vom HeuLe fürs Morgen

Cervantes zu Ehren

aü die Bühne, sclbst in ihcem lctzten
schäbigen Abklatsch, noch so wertvoll
für den einzelnen macht, waS sie im tiefsten
Grunde zur reinsten Spiegelung deS Uni-
versums adelt, so daß wir immer mit deni
Gefühl einer ^^rntität vom Welttheater
rcden dürscn, das ist die unü allcn cinge-
borenc Besiimmung, cntwcder tragischc odcr
tragikomischc Figuren zu sein. Nicmand
scheint von dieser Bestimmung auSgeschlosscn,
daü weltbewegende, weltbewcgtc Gcnic cbenso
wenig wie der Trödler, der in dcr dunklen
Gasse abgetragene Kleidungsstücke mit dem
Ernst eines chincsischen Mandarincn ver-
kaust, oder der Postbeamte, dessen Lebcn sich
zwischsn dcn engsten Grenzen seines Ainteü,
der Anzicnnität und der immer aktuellen Ge-
haltsrcgulierung vollzieht.
llnkenntnis deS GeseHes gibt kein Necht
aus Ausnahme. Kcnntnis des Gesetzes er-
wirbt nicmalü Rang und Ncchte. Dcnn
selbst der Mann, der nichts von dcin Gcsctz
wciß, ja nicht einmal sein Nichtwissen be-
greist (denn wie könnten sich sonsi die
Menschcn ernsihast damit bcschästigen, womit
sie sich beschästigen), sclbst der GesetzcSunkun-
dige solgt scinen Sterncn vielleicht mit grö-
ßerer Sicherheit, und in der Eitelkeit seines
Tagewerkcs spiegclt sich in vollkonnncncrcr
Gläite vicllcicht die Eitelkeit dcs höchstcn
Tagewerkes allzumal. Der Wissende aber
isi immer nur cin Halbwisscnder, was ilm
in allen Dingen zum Dilettanten macht,
also zum Zerrspiegel dcr Wclt und seiner
sclbst.

Jeder hat nur die Möglichkeit, aber nicht
die Wahl, tragikomisch odcr tragisch zu scin.
Zur Hälste wissend, zur HSlfte blind ist
selbst der Weiscste. Aber auch der Törichtc
kennt kcin anderes wisscndcS Wesen untcr
Gottes Sonne, alü sich und seineüglcichcn.
Mitten in den vcrzwciselten Kampf ewig
unbckannter, unbenannter Mächte gestellt, im
bestcn Falle mit Schildern auS Stroh, mik
Dolchen aus Marzipan bewehrt, steht cr,
ein gemaltcr Held, heroisch bis zur Lächer-
lichkeit, mit schwachen Füßen auf scinem
Ouadratfuß lebender Erde und kämpft für
oder gegcn heiligste Güter odcr ohne sie
in vollstcr Sinnlosigkeit, bloß den täglichcn
Bedürsnissen zugewandt.

llnd hat ihm die zwar nicht gütige, aber doch
ironisch nachsichtige Natur auch dcn mit
ihm gcborenen und sterbenden Zrrtum ver-
lichcn, sich aus Zeit und Ewigkcit
wirkend zu fühlen, an seiner Gottähnlichkeit
nie bangc zu werden, nic an dcr lMcnschen-
ähnlichkeit GottcS zu zweifeln — so besitzt er
dafür das in dcr gnnzcn bcseeltcn Nalur
schcinbar einzige Privileg, sich an Wider-
sprüchen zu nährcn, sich nachkü und ün

Sturm nur unter daS Dach unvereinbarer
Gegensätze slüchten zu können.

Wohl wsiß er, wie selig eS sein müßte,

der Derantwortung für cinc iin Grunde
inimcr unergrcislichc und unbegreisliche Wclt
loü und ledig zu seiu, sich dcm ruhendcn
Tiere, der windwärtü schwankenden Pflanze
zu nähern, zu vergcssen, was er doch nie
recht wußte, zu versinken, wo er doch nie

recht ausrecht stand, — denn wie sollte er es
denn auch, da cr als bcgrenzteö Wescn dem
Uubegrcnztcn dcs KvümoS ewig hilsloü aus-
geliefert ist, — wohl wciß er, wie selig es sein
müßte, kcins Beziehungen in dieser ihm dvch
niemals und nirgendü uiiteiworfcncn Sphärc
anzubahncn, sich nicht zu rühren, zu vcr-

schwinden, wissend zu verzichten, sich auszu-
löscn in dcm großen Abgrund, in den ihn die
Sucht und die Lust, der Zaubcr dcs Abgrunds
imnier hinzieht, — — aber cr kann nicht
anders: cr stürzt sich, zu seiner Ehre sci es
gesagt, denn das cinzig Schöne des Mcnschen
ist sein HeroiSnms, cr stürzt sich zwischcn
unvcrsöhnlichc Kämpfer, schmiegr sich zu
ewig unvollendetcr Versöhnung zwischcn Him-
mcl und Höllc, zwischen Nein und Ja,
zwischen Gut und Bösc, Friedcn und Krieg,
Scin und Werdcn, Höllc uud ParadieS, und
kehrt er, bis aufs Blut zerschunden, Don
Ouichote von dem vcrlausten Scheitel bis
zur plattgctretencn Svhle, unter dcm brau-
scnden Gclächter der wcltbchcrrschenden,wcli-
belüchclnden Dämoncn zurück, so niinnit er,
zu allen scinen andern Lastcn, wic Hunger,
Armut, Krankhcit, Alter und Schwäche,
nuch noch dicse Last auf sich, schjebt sich
selbst die Schuld an der mißlungenen Der-
söhnung aus scinen schmalcn, hochgrätigen
Esclsrückcn und verweist die bewundernde
Mitwelt aus spätere Zeiten und besser vorbc-
rcitete Dersuche, Kreuzzüge, Heldcnritte.

^zn der Natur, dicsem Hepenkcssel brodelnder
Leidenschastcn sressendcr und gesressener
 
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