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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

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Heft 10 (Juliheft)
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Kahane, Arthur: Vom Bildersehen
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Viertel, Berthold: Das Theater ist tot! - Lang lebe das Theater!
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0242

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Und vielleicht ist das gut so. Melleicht ist es daö Beste, das uns geschehen kann,
daß jeder vor den geliebten Bildern, ohne an sich zn denken, sich doch seiner erst
recht betoußt ist. Denn auch das ist ein Wachsen, und tvie könnte man den größten
Malern besser danken, als indem man an ihnen wächst!

DieseS ist der Sukus alles dessen, tvas ich sagen tvollte: die Augenblicke der schöpfe-
rischen Empfängnis sind die Höhepunkte des Lebens: in ihnen wird der Künstler
ganz er selbst und findet die ihm und dem Erlebnisse eingeborene, seine ihm einzig
mögliche Fvrm; tzxx wortlos Schauende vermag, durch Hingabe und

Nachleben dieser Momente, also durch das Medium seiner Derwandlnng, die Augen-
blicke seines genießenden Empfangens zu Höhepunkten seines Lebens zu machen,
hat er den einzigen Weg gefunden, der ihn zur Mitte des Kunstwerks führt.

Arthur Kahane

Das TheaLer isi Lor! — Es lebe das TheaLer!

<^^>^as Theater ist tot! — Dieser Ruf erklingt seit Jahren in den Ohren derer,
^ Idie am Theater arbeiten und erleben. Er wird von mancherlei Leuten auSge-
stoßen. Etwa von erfahrenen Liebhabcrn des Theaters, die ihre Kampfjahre
hinter sich haben und noch etliche Genußjahre vor sich zu haben hofften; sich abor
in >dieser ihrer geruhsamen Hoffnung schwer getäuscht sehen. Oder von den Rech-
nern in den Kanzleien, die allen Grund haben, zu erschrecken, wenn sie in dem aller-
dramatischsten Textbuche jedes Theaters blättern, nämlich in dem Buche, das die
Ausgaben und Einnahmen gegenüberstellt. Diese Lynkeusse der Strazza behaupten
nicht mit Unrecht, daß von unsern Theatern kein zeitgemäßeres und aufregenderes
Drama aufgeführt wird, als eben jenes, daS die wirtschaftliche Selbsterhaltung der
Bühnen zum Jnhalt hat. Auch die Gegenmaßnahmen der Theater-Geschäftsleute
im Todeskampf ums Dasein schen freilich wie kulissenreißerische Effekte, wie grelle
Theatercoups aus. Es werden mutige OrganisationS-Versuche gemacht, Versuche
einer neuen Solidität; es wird aber auch tollkühn geblusft. So etwas wie der Beschluß
der Direktoren, vor dem Monat Mai keine Verträge für die nächste Spielzeit zu
schließen, hat sich zwar als geeignet erwiesen, eine Panik in der Schauspielerschaft
hervorzurufen, und vielleicht wird wirklich mancher Künstler es billiger geben, als
er eS sich geträumt hätte. Aber eine gesunde Theaterpolitik ist daö nicht; sondern ein
gewaltsames Hasardieren. Jn dieser Art von Klassenkampf werden andcre Tüchtig-
keiten gestärkt als die künstlerischen. Mit einer verantwortlichen Pflege der Talente
haben solche Nötigungsversuche nicht mehr eben viel zu tun. Aber sie werden ent-
schuldigt und erklärt mit der Not der Theater. Das Theater stirbt, heißt es; also
sind die gefährlichsten Operationen nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten.

Was aber meinen die Jdealisten, wenn sie dem Theater mit dem Tode drohen? Viele
Arten von Theater meinen sie, wenn sie das Theater meinen, das abstirbt, und daö
sie so gerne am Leben erhalten hätten. Dielen Mahncrn geht es um ein teures Erbe,
um das Theater der deutschen Bildung, welche Welten aufgespeichert hat, die nnver-
gänglich zu sein schienen; um eine Überlieferung, von so vielen Kräften gespeist
und nun schließlich doch am Verhungern; um einen herrlichen Sprach-Schah, von
den Klassikern angehäuft, von zahlloscn braven Nachfahrcn in kleinere Münze um-
gewechselt, bald kümmerlich weitergespart, bald unbedacht vergeudet. Nun drohe
sich das alleS in schwindelnde Derlustposten aufzulösen. Und jeder verliert etwas
anderes, das er für unersetzlich hält: den individualistischen Schauspieler und seine
Ausbeute an mimischer Klein- und Feinkunst und viclfacher Gestalt; die Augenpracht
und Sinnenfülle der Meininger, die sich heute zur Revue herabbegeben hat; das Zu-
sammenspiel Brahms und seine strenge Gefestigtheit und seclische Wahrhaftigkeit;
 
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