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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

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Heft 7 (Aprilheft)
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Glewoldt, Heinrich: Südtirol
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Scholz, Wilhelm von: Leben in Wandlung: Aphorismen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0046

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lichung nichk in lnftdichker preußifcher Absperrung, viclinehr im vvllcn gei-
stigen LebenSallstausch mit den gegensätzüch ergänzenden
Sondertümern der Bayern, Württemberger, üstcrreicher usw. vollzvge.

Erweist sich niin, also gesehen, nicht deutiich, daß überall, wv Dentsche heute lebcn,
nicht trotz, sondern zusolge der Not, in der sie leben, der Kcim zu neuer Zlirnnst
rege ist? Und daß die scheinbar hossnnngslose Gegenwart, in der uns so oft nur
der Zynismus die Krast zum Widerstanöe leiht, mit völlig anderem, mit hellerem
Bilde erscheint, als solange sie einzig vom Eintagsturm aus — von der Seknnde
europäischer politischer Narrenkomödie her betrachtet wird?

Wohl wissen wir: der protzige Realpolitiker, der niemals vom Geiste her, sondern
innner nur von der sogenannten sichtbaren, greisbaren und errechenbare» Möglich-
kcit aus Politik macht, — wir wissen es: er lächelt überlegen vor solcher Aus-
zeigung geistiger Wnrzeln und vor den Horizonten, welche diese auftut. „Welchen
armen Südtiroler erlöst ihr mit solcher Deuterei?" höhnt er vielbcklatscht. „Und
welche deutschen Grenzen wollt ihr damit erobern? Und welchen deutschen Staat?
Und — welche deutsche Macht? Und wir brauchcn Macht!" schlägt er, noch mehr
bejubelt, auf den Tisch. „Seht ihr denn nicht, daß wir vvn Gewalt nmgeben
sind? Welche deutschc Macht also baut ihr mit solchem Gewäsche aus?"
Antwort: Es ist der Geist, der sich den Körpcr baur; auch im Politischcn gilt dicser
Satz! Wüßte nur jeder Oeutsche im Süden, im Dsten, im Norden, inr Westen zn
jeder Zeit, welche magischc Macht der G e i st hat, der in seinem Körpcr
lebt, wenn er nur den Mut aufbringt, die Natur scines Wesens zu erkenncn nnd
ungeschmälert auszuwirken! Oann brauchte keincm von uns um Volk, Grenzen
und Macht unseres zukünstigcn „Staates" bange zn sein! Genau crkannter und
genau genutzter Eeist schasst sich das HauS, das ihm gebührt, von selber! Trotz Tod
und Teusel! H e i n r i ch G I e w o l d t

Leben in Wandlnng

Aphorismen von W i I h e l m von Scholz

^"><as Kind lebt, sich selbst entwickelnd, in ciner Umgebung von Unvcränder-
^ I lichkeit und Dauer, die der Hintergrund seineü Daseins sind. Die Welt nm
das Kind steht still in all ihrer Lebendigkeit.

Es ist vielleicht der schwerstc Übcrgang im Werden dcS jungen Menschen, wenn cr
zum ersten Mal der steten nnd unaushaltsamen Wandlung seines Lebensgrundes
gewahr wird.

Die „gute alte Zeit" wird von dcn sjugendcrinnerungen der Gencrationen gc-
schasfen und wandert langsam den lebendcn Geschlechtern im Abstand nach. Dabci
zwingen starke Zeiten manchmal ihre Jngenderinnerungen eincr sie überdauernden
längercn Epoche als das aus, was die gute alte Zeit gcnannt wird. So können
die Jugenderinnerungen cincr Generation dnrch Zufall selbst ein Jahrhundert nnd
inehr stehen bleiben.

Vielleicht ist die unendliche Sehnsucht der szugend nach dem Leben, die aus der
Jllgend sortdrängt, das, was — unerfüllt aber überwundcn wiedcr gesühlt, wiedcr
als vergebliche, jetzt rückwärts gerichtete Sehnsucht gefühlt — dem Rückblick die
Jugend zugleich so unendlich fern und so greifbar nah, so ersehnt und, vcrloren
und so glückvoll zeigt, wie sie nie war.
 
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