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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

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Heft 10 (Juliheft)
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Gebet
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Aus Miguel de Unamunos "Abel Sanchez"
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0257

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„Alles was ihr biLtet!" Rings uin ihn her schien es in der Lnst geschrieben zu stehen:
die Blumen der Tapete schlangen die Worte in endlosen Ketten. Er konnte Gott
um sein Leben bitten; der Schmerz toürde dann aufhören; er roürde wieder aus-
stehen und herumlausen können. Aber seine Mutter wäre dann Wittoe, seine kleinen
Stiesgeschtvister Waisen.

„O Gott, sei m!r gnädig. Du siehst es, ich dars nicht. Jch kann nicht, Gott; du toeißt
eS, ich dars nicht. O hils mir, tvenn ich auch nicht beten dars. Mein Hals tut so tveh!"
Von der Gottheit, über die sein Stiefvater predigte, verstand er tvenig, doch tvußte
er, daß Er schrecklich gerecht und ein Rächer tvar. Er tvußte, daß jedes Wort in der
Bibel buchstäblich wahr war: man mußte es genau so nehmen wie es dastand.

„Jch dars nicht," keuchte er und wandte der Mutter seine verzweiselten slehenden
Augen zu.

Sie verlor alle Beherrschung; am Bett sank sie nieder. „Du darsst!" schrie sie aus.
„Du darfst! Du darfst! Es ist eine Lüge des Teufels. O Gott, erbarme dich seiner!
Erbarmc dich meiner! Sage ihrn, daß es eine Lüge ist! Sei ihm gnädig. Hils rhm
beten!"

Aber er wußte, daß sie das alles nicht verstehen konnte. Er war nicht sähig, es ihr
zu erklären. Er konnte nur daliegen und sein Leben keuchend verhauchen.

„O bete zu ihm!" schluchzte sie, „bete! bete! Schüttle den Kopf, Liebling, zum
Zeichen, daß du mich verstehst!"

Er lag regungölos da und starrte sie an; angstvoll bemüht, ihr den Schmerz einer
Weigerung zu ersparen, tat er, als höre er nichtö.

Da kam ihm plötzlich ein großes Verstehen, daß er recht handle, und daß Gott
weit über menschliches Begreisen hinaus Recht von Unrecht kennt. Gott war ein
Gentleman, wie er einst mitten im plumpen Wirrwarr der religiösen Verkrampsungen
um sich herum gesagt hatte, und er ging ihm entgegen in seinem Todeskampf, wie
es sich sür einen Gentleman gebührt.

„Jch habe recht getan!" sagte er in der Tiese seiner jungen Seele. „Sei mir gnädig,
Gott!" — Und im plötzlichen Frieden dieses alles andere überdeckenden Bewnßtseins
starb er.

Als Simon Rotteval sich einige Zeit später ins Zimmer stahl, fand er die Mütter
im Gebet verloren am Bett.

„Du darsst jetzt nicht mehr sür ihn beten," sagte er; „das wäre unrecht."

Sie össnete die Augen und blickte ihren Gatten an.

„Jch weiß," sagte sie; „ich bete sür mich. Und sür dich."

„Du glaubst, daß ich Schuld habe?"

„Nein Simon; natürlich hat unsere Religivn recht. Aber ich kann nur sagen: Gott,
sei gnädig! Gott, sei gnädig!"

„Der Herr kennt die Seinen," sprach Simon Rotteval.

Berechtigte Übersetzung von Eva Schumann

2lus Miguel de Unamunos „Wel Ganchez"^

^ntonia schenkte Zoachim eine Tochter. »Eine Tochter,« sagte er sich, »und er
I einen Sohn!« Aber bald hatte er sich von dieser neuen Tücke seineS Dämons
wieder sreigemacht. Und cr begann seine Tochter zu lieben mit der ganzen
Krast seiner Leidenschaft und durch sie die Mutter. »Sie wird meine Rächerln sein,«

' Die abgcdruikke Prabe siamnir aus der Mikie deS Romans „Abel Sanchez". Über Unamuno
und den Roman stehk in diesem Hefk weiker hinken ein besonderer Beikrag. Joachim ist der
Dunkle, Neidoergifteke. Abel der Liihke, der Unbekümmerte, der schopferische Künstler. ssoachim
hat die milde Ankonia zur s^rau, Abel die berbere, bildschöne Helena, Zoachims Cvusine, die
 
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