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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

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Heft 10 (Juliheft)
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Schumann, Wolfgang: Der Wert der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0229

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XXXix-

Der Wert der Kunsi

i

/^.Iinst toächsr so llnmittelbar aus dem Urgrund und Urschoß empor, so llnentrinn-
Vr bar und pslanzenhast, daß sie unserm Leben einverwurzelt ist tvie Pslanze und
Tier, Lust und Erde. Schon Aristokeles k>at sie als Erzeugnis der „Natur" be-
grissen, und immer ivieder ist dieser Gedanke dargetan toorden. Natur aber pslegen
tvir nicht zu bewerten. Natur i st; sie kann nicht n ich t-sein, wir wären denn selber
nicht. Wir „sinden unS ab" mit ihr, wir lieben sie, enksremden uns ihr, nähern uns
ihr, zergliedern und ersorschen oder bewundern sie stumm. Doch tvir treten nicht auS
ihr heraus, und mehr spielerisch als sinnvoll nur wird die Frage gestellt: waS sie
„wert" sei. Müßten wir sie doch, um daraus antworten zu können, in einen Ver-
gleich ziehen, in eine Relation bringen, sie einem andern gegenüberstellen — und was
in aller Welt könnten wir zu Vergleich und Gegenüberstellung verwerten, da wir doch
in allem wiederum „Natur" vorsänden?

Denn „nur vergleichende Urteile haben einen Wahrheitswert. Denken heißt Ver-
gleichen" (Rathenau). Vollends wenn es um Wertentscheidungen geht. Jndes, der
Natur teiI ist nicht die ganze Natur. Kunst ist ein Sondergebiet. Es ist möglich,
also ist es geboten, jenseits alltäglicher Hoch- und Geringschätzung ihren dauernden
Wert, ihre wesentliche Bedeutung zu ermessen. Allerdings ist dies nun eine „letzte
Frage"; der Wert der Kunst kann, wenn überhaupt, nur an den höchsten Werten
gemessen werden, die wir kennen.

Als solchen höchsten Wert begreifen wir die Entwicklung der Menschheit nach einem
höheren Stande ihres Wesens hin. Und haben kaum diese Wertvorstellung ausgespro-
chen, da drängt sich schon die Erkenntniö heran, daß solche Höherentwicklung auf zwei
Wegen geschieht: Voran schreitet das Einzelwesen; der Eine oder Andre verwirklicht
als Persönlichkeit in der Zeit mehr oder weniger deutlich und gewiß jenen „höheren
Stand", erlangt Wesensprägung, GeisteS- und Seelensülle, die wir als Zukunstziel
der Entwicklung für Alle begreisen. Es folgt langsam und unsicher, in langer Kette,
die Menschheit nach: voran solche, die den begnadeten Einzelnen noch verwandt und
schon ähnlich sind, zuletzt Menschen, die dem Tier fast näher scheinen als dem Voran-
geschrittenen. Diese Doppeltheit aller Entwicklung aber stellt uns die doppelte Aus-
gabe, daö Einwirken der Kunst aus gesellschaftliche und persönliche Entwicklung ge-
sondert zu betrachten.

II

Was immer Kunst bedeutet, im gesellschaftlichen oder persönlichen Lebenöhaushalt,
sie vermag es krast des inneren Erlebnisses der Empsänglichen. Der erste Schritt
zur Erkenntnis sührt uns in die Psychologie.

Kunst bildet und versei'nert Sinnesorgane und Sinne, sie schärst Auge und Ohr, stei-
gcrt und difserenziert Klang-, Farb- und Formensinn, rhythmische Empsindung; sie
sordert und übt die Einsühlung in Unorganisches, Organisches, Persönlichkeit, Ge-
danken-, Gesühl- und Willcnsleben; sie „erweckt" schlechthin Geist und Seele, erweitert
den Gesichtkreis, erfüllt uns mit Visionen und Weltbild, vervollkommnet Gefühle
und Anlagen und entlastet uns von Furcht und Druck, indem sie jene ableitet, diesen

Juliheft 1926 (XXXIX, 10)

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