Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

DOI Heft:
Heft 9 (Juniheft)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang; Molo, Walter von: Offene Briefe, [4]
DOI Artikel:
Bruns, Marianne: Arbeit
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0172

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
daß dieser Brief bei meinem Tod, von dem ich annehme, daß er erst m ca. 40 Jahren
emLritt, noch unvollendet wäre. Ganz gewiß wäre es gut, wenn man dem Fähigen
im Anfangsstadinm seiner Entwicklung Ratschläge geben könnte, in großen Zügen,
aber denke an Kurt mit dem GaSkamin: Selber wissen müssen! Und die nicht so
sind, an denen ist nichts gelegen. Die zn unterweisen, zeitigte nnr noch mehr Dilettan-
tiSmnS. Kunst ist keine Hnmanitätsanstalt, in der Knnst kann sich nur jeder selber
helfen, denke an nnser bisheriges Leben, wieviel Jrrgänge, wieviel Sackgassen zeigten
nns erst den richtigen Weg, aus uns, das scheint mir das einzig Richtige.

Jetzt soll ich noch vom „Mißtrauen" und von der „Psychologie im öffentlichen Wir-
ken" reden? Wenn ich das so täte, wie es nötig wäre, würde ich beim Jüngsten Ge-
richt noch nicht fertig sein. Aber ich will gleich fertig sein, wei! ich zu meiner Arbeit
zurückkehren muß. Jch kenne nur eine „Taktik", daS ist die, der Sache des Guten
zu dienen. Wenn ich das will, so muß ich alles Gewesene vergessen und nur an die
Zukunft denken, denn wer trüge nicht Wunden, durch fremde und durch eigene Schuld?
Ob alt oder jung, wir müssen die Weisheit lernen und danach handeln, daß wir immer
alles unterlassen, was den anderen, der ebensowenig ein Gott ist wie wir, unnötig
reizt. Wir müssen alles verhindern, was dem andern das Blut in die Augen treibt,
daß er nicht mehr klar und sachlich sieht, denn dann ist das Ende da und zerstört,
was Generationen vor unS mühsam aufbauten. Jch bilde mir natürlich ein, daß ich
recht habe, aber ich muß mir ebenso einbilden, daß die andern auch recht haben! Wir
können gegen diese ewigen Sprachverwirrungen nur das eine sieghaft setzen: ewigen
Pfingstgeist! Das heißt, wir müssen alles Trennende in uns und im anderen negieren
und immer nur das Einheitliche, das Verbindende sehen! Es ist immer zwlschen
allen Gegnern vorhanden. Du brauchst nur an unsere eigenen Wege zu denken, zu-
einander und widereinander, wir waren lange Jahre in politischen, ästhetlschen, fast
in allen Fragen, sehr verschiedener Meinung, und trotzdem haben wir uns nie dauernd
zerkracht, sind wir immer Freunde geblieben, wei! das Einigende eben da war. Es
ist überall und in jedem Fall da — wenn man nur will! Habe ich nicht sogar
diesen fürchterlich langen Brief jetzt geschrieben? Jmmer mit die Nuhe, wie der
Berliner sagt, anders gehen wir und geht alles zugrunde. Das ist mein Bekenntnis,
zu dem es nicht mich, sondern zn dem Du mich gereizt hast.

Walter

Herzlichen Gruß

Arbeit

icle Evangelien sind dem Menschengeschlecht verkündct worden, seit es sich
seiner Armseligkei't bewußt geworden ist und wohlzuleben wünschte:

Das Evangelium von der Herrlichkeit der gewaltigen Fürsten, das Evange-
lillm von der Lebensfreude, von der Sophrosyne, will sagen von der Besonnenheit,
das Evangelium von der Erlöserkraft GotteS und viele andere mehr. Bruchstücke
der ehemals verkündeten und geglaubten Evangelien wirken noch heute fort, aber
vorherrschend und allgemeingültig ist keines von ihnen mehr, sondern allein cin neues,
das das mechanisierte Zeitalter sich eigens erschuf: daö Evangelium von der Arbeit.
Wenn anders man ihre Lobpreisung ein Evangelium, eine frohe Botschaft nennen
will. Arbeit ist uns Heutigen alles: Leben, Gott, Tugend, Sinn deS Daseins. Ge-
wiß, auch die anderen Kultur-Epochen kannten „Arbeit". Arbcik, welcher Art immer,
war notwendig zur Erhaltung des LebenS und znr Erlangung der Evangelien. Als
Mittel war sie immer bekannt. Uns ist sie Selbstzweck geworden.

Kein Wort, kein Begrisf wird annähernd so oft gesprochen und bedacht als „Arbeit".
Arbeit ist der Wertmaßstab, den die Sittlichsten gleicherweise anlegen wie das Volks-
bewußtsein ihn anlegt. Wer besitzt, was er nicht erworben hat, wird bedroht; wer

146
 
Annotationen