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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft)
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Laun, Rudolf: Völkerrecht und Auslandsdeutschtum
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0013

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XXXix-

Völkerrecht und Auslandsdeutschtum

.77^ ie Weimarer Berfassung vom n. August 191g sagt m ihrem Vorspruch:

^ I„Das deutsche Volk, — einig in seinen Stämmen — hak sich diese Verfassung
gegeben."

Jn diesem Satze ist ein großeS und neues Programm ausgesprochen, vielleicht grvßer
und neuer, als man im allgemeinen annimmr. Denn er bezieht sich nicht bloß anf
die innere Politik, indem er die Ersetzung der sogenannten Fürstensouveränität durch
die sogenannte Dolkssouveränität proklamiert, das heißt die Ersetzung öes Gottes-
gnadentums und der vom GotteSgnadentum abhängigen landesfürstlichen Bureau-
kratie durch die Selbstregierung eineS sich mündig fühlenden Volkes und des
dem Dolke verantwortlichen Beamtentums, sondern jener Satz enthält auch ein
außenpolitifcheS Programm von der größten Tragweite. Er stellt uns vor die
Frage: Wer ist denn jeneS Deutsche Volk, das sich diese Berfassung gegeben hat?
Wer ist der ideale Träger der obersten Gewalt im Staate? Wer ist der Grund
der Rechtsverbindlichkeit der Verfassung und aller auf ihr beruhenden Gesetze und
sonstigen Rechtsakte? Wer ist der letzte, höchste, oberfte Zweck, dem der große
Aufbau des Deutfchen Reiches mit seinem gesamten Rechte dient? Sind es nur jene
Deutfchen, die innerhalb der willkürlichen Grenzen des Versailler Vertrages woh-
nen? Sollen alle Deutfchen in Danzig und im polnischen Korridor, in Kattowitz
oder KönigShütte, in Tondern, in Eupen und Malmedy, in Deutfch-Dsterreich, in
Deutfch-Böhmen, in Deutfch-Südtirol — ja, auch jene Elsaß-Lothringer, die sich
neben ihrer deutfchen Muttersprache noch ein politifcheS Jnteresse für ihre deutfche
Urheimat bewahrt haben, sollen alle diese Deutfchen von jener idealen Volks-
gemeinfchaft, von der Teilnahme an jenen letzten Zwecken, denen das Reich und
unser deutfches Recht dient, ausgefchlossen sein?

Diese Fragen können nicht mit dem Hinweis öarauf beantwortet werden, daß wir
nach dem sogenannten „positioen" Völkerrecht an die Grenzen des Vertrages von
Versailles gebunden sind. Denn solange es keinen Weltftaat mit einer allen Einzel-
ftaaten unbedingt übergeordneten souveränen eigenen Gesetzgebung gibt, so lange
sind die Gesetzgeber auch im Völkerrecht die Staaten, also im öemokratifchen Zeit-
alter die Völker. Sie setzen souverän die letzten und höchsten Zwecke öes Völker-
rechts ebenso wie die Zwecke ihrer nationalen Staats- und RechtSordnung fest.
Alle allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts, auch jene, auf denen die Verbind-
lichkeit völkerrechtlicher Verträge beruht, haben ihren Grund in der Übereinstimmung
der Staaten, also im demokratischen Zeitalter der Völker. Es ift daher ebenso
berechtigt zu fragen, was das deutfche Volk, wie, was das englifche oder französifche
Dolk gewollt hat und will. Allerdings haben wir uns der Gewalt beugen müssen.
Die Derfassung hat es getan, indem sie in einem Satz des Artikels 178 — dem
jchwarzen Trauermal, mit dem sie zur Welt gekommen ist — ausgesprochen hat,
daß dre Beftimmungen des Friedensvertrages nicht berührt werden. Damit hat sie
die Grenzen, die dieser Dertrag dem Deutschen Reiche gezogen hat — so wenig
öiese Grenzen auch dem Rechtsgefühl und sittlichen Empfinden des deutfchen
Dolkes entsprechen —, vorläufig zu territorialen Grundlagen des sogenannten
positiven deutfchen Reichsftaatsrechts gemacht.

Aprilheft 1926 (XXXIX, 7)

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