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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

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Heft 10 (Juliheft)
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Schumann, Wolfgang: Der Wert der Kunst
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Kahane, Arthur: Vom Bildersehen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0236

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scheiden vom Nachgeahmten, Erlernten, zwecklich Angewandten nnd wendet sich jenem
immer entschiedener zu. Damit sühlt er sich immer entschiedener getrieben und befähigt,
dunkel geahntes menschliches Schauen, Hören, Empsinden als wahrhaftig zu erkennen;
er dringt vor in den Stand des reineren, vollkommneren, tieser stillen, wissenden, lieben-
den Menschtums. Jm Erlebnis der Kunst mag sich ihm eine Ahnung und sogar Ge-
wißheit künstiger Entwicklung nnsereS GeschlechteS erschließen. Jst dies schon bese-
ligender Gewinn, so muß ihm dennoch das zweite ebenfalls gelingen: sich dem „dämo-
nischen", doch einseitigen Befehl zu entwinden, nicht allein von Kunstgenuß zu
Kunstgenuß sich treiben zu lassen, sondern auch aus dieandern Götter unseres Erden-
daseinö willig zu hören, soweit sie wahrhast gültige Forderungen an nns stellen; das
„ästhetische Erlebnis" zu begreifen als Erlösung vom Zweck und zu verschmelzen
mit den gleichgeordneten Erlebnissen der Erkenntnis, der Liebe und der Teilnahme
am menschheitlichen Entwicklungwerk. Mit andern Worten: zurückzukehren aus dem
Reich der Kunst und ihrer paradoxen „Nutzlosigkeit" und die gewonnene Steigerung
des eigenen Wesens einzusetzen in das Getriebe zwar nicht des zweckstrebigen Lebens
— denn dieses ist als nichtig erkannt—, aber der verantwortlich-liebevollen Mitarbeit
an der Höherentwicklung der Menschheit, deren Zukunst die zwecksreie Kunst ihm
srüher enthüllt hat. Um dasselbe ein drittes Mal und im vorhin gebrauchten Bilde
einzudrücken: Der Dienst der einen Gottheit muß sich zuletzt vereinigen lassen mit
dem Dienst anderer Gottheiten; der Dämon der Kunst segnek uns wahrhaft dann,
wenn wir ihn mit den anderen echten Dämonen deS Daseins aussöhnen; das letzte
Ziel ist nicht Zerrissenwerden, sondern jene jenseitige „Harmonie" — Harmonie jen-
seits der hingebungvollsten und brennendsten Einseitigkeit des Erlebens. Wer dies
vermag, er allein, dient zugleich der Gottheit der Kunst tiefer und beglückender als
jeder ästhetisch Eingestellte: er erlöst sie aus der Dereinzelung und sührt sie zu sreund-
lichem Zusammenwirken mit den Geschwistern. Denn eine serne Ahnung erlaubt es
auszusprechen: auch der Dämon leidet, solange er eisersüchtig und allein herrscht, und
sucht mit urtiefer Sehnsucht die Gemeinschaft . ..

In diesem Sinne mag eS dann gelten, daß Kunst auch der Bersittlichung dient: in
einzelnen Wenigen. Doch verliert durch solche Betrachtung das Wort „Bersittlichung"
seine Nebenbedeutung einseitiger Ausbildung des Fromm- und Gutscins; es bedeutet
nun: wahre, allumsassende Bervollkommnung, und an dieser vermag Kunst aller-
dings mitzuwirken. Allein, dieser Wirkung wird keiner aus reiner Gnade und Zufall
teilhast. Solche Entwicklung zum Wissen um urechte, notwendige Kunst, zum Durch-
leben ihrer zwecksreien Sphäre, zu ständiger Fühlung mit ihr und jenseit desscn die
stete Rückkehr in das volle Leben, das wir nun anders begreisen als je zuvor —
dieses alles wird keinem geschenkt. Es will aus der Kunst der Erkcnntnis erobert
werden. Als ein Werk unserer wissenden Krast ist es von uns gesordert, daß wir
Kunst in uns sruchtbar machen — und vollbringen wir es, so sind wir Meister eincr
Kunst, die den Namen der werkschasfenden Schöpsertätigkeit nicht zu Unrecht geborgt
hat: der Lebenskunst. Sch

Vom Bildersehen

ine Ersahrung, an die ich glaube, wie an ein Dogma: das volle, das lctzte
I O Derständnis eines Kunstwerkö erschließk sich nur dem, der auch seine Technik
versteht. So paradox es klingt: ohne Unterscheidung des Technischen im
Kunstwerk begreist sich auch seine Jdee, sein geistiger Gehalt, sein Inhalt, das
psychische Erlebnis des Künstlers nicht. Das soll nicht heißen, daß etwa das technische
Momenk und sein Ergebnis, die Form, daö einzig Wesentliche sci, sondern: die Um-
wandlung der Jdee, des GehaltS, des Jnhalts, des psychischen Erlebnisses in

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