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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

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Heft 10 (Juliheft)
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Morgen
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0272

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Die Ebene. Der Sonnenglast liegt darauf, man sieht sie nicht. Alles ist gemacht aus
den wenigen Stossen, dle auch daS Sandkorn machten und die Möhrenblüte. Aber
das Herrlichste ist, daß alles sich wandelt: jetzt ist der Berg hart, steingrau, voll
Runsen, das Tal verschattet, die Weite überdunstet. Später umblaut sich der Berg,
noch später wird er rot und die Weite wird blau, violett, silbern. Der Himmel, auS
weißem Hellblau wird er ehern, bleiern dann und rot überslutet, gelb, orange, brand,
purpur, blutrot, graurot, grün. Aber auch die Formen verwandeln sich, die Ge-
stalten. Und doch bleibt das Ganze unverändert: das Ganze: das Leben." Sie stiegen
die steile Kuppel eines starken, runden Berges hinaus. Die Sonne hatte schon Krast.
Sie stach ihnen mit hundert Strahlennadeln in hundert Porcn hinein. Oben war
Wind.

„Jch bin hungrig," sagte ThereS, „aber noch mehr müde." Sie legten sich in das
grobe Heidekraut vom Borjahr. Es war ein guteö Polster. Nuhig bettete sich das
Mädchen in den tiessten Arm des Mannes hinein, dessen Gedanken noch lobpreisend
die Fülle der Schöpsung umsaßten. Gestern war sie vor ihm geslohen, als vor dem
surchtbar Fremden, weil die Nacht sie entwurzelt hatte. Jm Licht des Morgens war
er der tiesste Bertraute. Sie bewegte schon die Lippen, um es auszusprechen, besann
sich aber und hielt es zurück. „Wir wollen immer auch den Morgen lieben," sagte
sie nur, und sogleich sie ties begreisend, griss er empor, was sie dunkel empsand:
„nicht den Morgen vergessen über der Nacht. Denn im Morgenlicht erst beweist
sich daö Geschassene."

Um die Bergkuppe strich in ununterbrochenem Zuge der starke Wind. Die Liegenden
sühlten rund um sich nur Himmel und den Erdengipsel, aus dem sie ruhten. Beiden
kam die Bision der Erde, die durch den Raum sliegt. Lerchen flogen hoch voraus und
verkündeten singend ihre Hcrrlichkeit. „Sommermorgen." DieseS: betäubt von der
Glückseligkeit des Da-seins, fliegend in unendlich ewige Zukunst, bcieinander zu ruhen,
das sagte sich alles in einem Wort voll Klarheit, Krast und Hosfnung: „Morgen".

Marianne BrunS

Vom Heute fürs Morgen

DasTrugbildschötterVergaitgenheir

7V^">-enschen, die über d!e Verrottung,
b ssuchtlosigkcit, Gesühlskälte der Gc-
genwart und andere ihrer bösen Züge be-
weglich klagcn, flüchten mit ihrcn Träu-
men und müßigen Gcdankcn gcrn in die
Dergangenheit und putzen sie stattlich hcrauS.
DaS ist cin billiges Spiel, sich Trugbilder
vorzugaukcln, aber auch ein gcfährliches.

Don der Dergangcnhcit überliefert uns die
Geschichte nur die bedeutendcn Ercignisse,
die das Gesicht der Jahrhundcrte bestim-
mcn. BcreitS der erste Geschichtsschreiber,
dcr über Wendepunkte im politischen Lcbcn
dcr Dölker auS eigenem Miterlebnis berich-
ret, stellt auS dcr Gcschichte daS Auffällige
und Lärmende zusammen, das vom wirklichen
Ablaus nur eincn kleincn Teil bildck. Ge-
stalten, deren Heldentum auS verzweiselter
Bedrängnis oder bloßer Abenteuerlust ent-

sprang, wcrden zu bewußten Schicksalsvoll-
strcckern und zu Trägcrn edclster Gcsin-
nungen vcrklärt. Andere, dercn stillcS Hel-
dentum, äußcrlich mißvcrstandcn, wie eine
gcheime Strahlung das Gcwissen ihrer Zeit
crhellte, crscheinen zu klcincn Nebcnfigurcn
oerzerrk.

Spätere Berichte, d!c sich ctwaS auf ihren
„Abstand" von dcn Ereignissen zugutc tun,
die sich „objektio" und leidenschastsloS nen-
nen, särbcn dic Dergangenheik mit idcalisti-
schen Absichtcn, die gar nicht im Wcsen der
wirklichen früheren Entwicklung liegen konn-
ten.

Ähnlich verhält eS sich nüt der Kunst. Don
dcn Millionen schöpferischer Dcrsuche, die
in jedcr Zcit um dcn gcsammelten Aus-
druck dcs Kulturgcsühls ringen, gelingcn
nur wenige in hohcr Dollendung, die der
Nachwclt cin BckcnntniS reiner Menschcn-
würde überliefcrn.

2/jv
 
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