Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

DOI Heft:
Heft 8 (Maiheft)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Reisezeit
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0104

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ReisezeiL

(H^P^^ir aus der Vorkriegszert wußken es lange genug nichk, was es für
^ ^die Millionen heißk, was es für frühere GefrhlechLer hieß, in enger
SLadL und enger SLube: WinLer. Unser Winker war durch reich-
lich elekLrifches LichL, guke ZenLralheizung, Pelz, Gummifchuhe und dichkes
Gewand in eine harmlose, auf ihre Weise nichk unerfreuliche SpielarL des
Klimas verwandelk. Seik Kohlenmangel und Geldaufblähung uns einmal
gepackL und belehrk haben, verfkehen wir, wie noch immer der Wechsel der
Iahrzeiken kief ins Leben eingreifL; wie Winker nichk viel mehr bedeukek als
VerdrießlichkeiL, Verdüfterung, EingefchränkLheiL, UloL, Sommer aber Froh-
sinn, Hell-Leben, FreiheiL, SorglosigkeiL.

Über Nnchk aber wird es „Sommer". Die SpielzeiL der Theaker, der 2ln-
drang der VorLräge, Vorführungen, VerpflichLungen, das ganze, enge 2Aer-
knüpfksein mik der Skadk nnd ihrem MelbeLrieb ftreckk und dehnk sich über
den Vorfrühling des Februar, über die Knospenkage des Mürz, über den
wechselreichen, blükenseligen April, selbft über die HälfLe des warmen und
fchwangeren Mai noch; so lange dauerL wohl SLubendasein, Theaker- nnd
Saalbcsuch, Gebunden- und VerflochkenheiL, wenn auch die Seele und der
Leib ab und zu fchon vorkoftend Fühler ins fteigende Jahr und seine junge
HerrlichkeiL hinausfirecken durfken. Dann aber, LroH allem Vorkoften noch
wie plöHlich, ebbk das BeLriebleben, sinkL die Mrsponnenheik, akmek der Geifi:
es wird, es ift Sommer.

Allsogleich aber regen sich die Flügel, und im inneren Ohr beginnk es zu
fchwingen und zu klingen: ReisezeiL. Wohin? Jkalien, Schweiz, Griechen-
land, Alpen, Meer, Schweden, Spanien, llngarn, Holland, England; NaLur
oder Kulkur — alles gilk, alles ftehk bereiL. Der Körper fühlk vergessene
Spannkräfke, Berge winken, kleine und große Wanderungen locken (und
fchrecken wohl auch den Müdeu ein wenig), neue Eindrücke, bekannLe Fremde
und unbekannke Ferne füllen WachLräume . . .

Warum reisen wir? llnsere Groß-, llr- und llrnrgroßelkern kannten das all-
jährliche Reisen nichk. Es galL — mit Rechk — als unbeqnem, ini ungünftigen
Falle als verdrußreich, im noch ungünftigeren als gefährlich. llnd diese Fälle
waren häufig. Aber man fand es auch nichk „notwendig". Man war mik
viclem, was wir heuke unker Koftenaufwand erreisen, daheim vertrank; vor
allcm mik Natur. Die fteinernen Skädke waren durchgrünk vou Baum und
Skrauch, im Weichbild breitete sich fchon Fcld und Wiese. Mik dem Lan-
dauer war Einsamkeik zu erreicheu. Minder belaftek und gespannt, geheHk
und zerrissen, kannte der ruhigere Menfch von einft die Genüsse besscr, die
rege Phantasie dem Wachtraum GewohuLen daheim bereikek. Er enLbchrke
nicht die fremde WirklichkeiL wie wir, da vorgeftellke Fremde ihm
verkrauter war als uns . . .

Wir aber bedürfen des Hebels und I'lachdrucks, der greifbar-fchaubaren, ciu-
druckftarken Wirklichkcit. Doch es ift nicht neuer Ilokftand, in dem wir leben,
sondern uns ift wahrer Gewinn geworden dauüL, daß Reisen bequem nnd
billig wurde. Auch der Altvordere wäre LroHallcdem wohl ofk geuug in Per-

84
 
Annotationen