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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

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Heft 12 (Septemberheft)
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Illing, Werner: Gedanken über die Oper
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0396

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Gedanken über die O^er

/-^>^ie Schriftstellerei dient in Deutschland seit Lessing moralischen Ztvecken.

^ »Di'ese Art, zu tverten und sittliche Weltbeschreibung zu treiben, verlieh unserem
Denken Methode und dem Urtcil sruchtbare Begrenzung.

Die Zeit brachte es mit sich, daß ihre Beschreiber aus „Weltanschauungen" ein Spiel
mit drei, vier, süns Elfenbeinkugeln machten, die man ztvischen ztvei Händen kreisen
läßt. Aufmachung, Hintergrund, Beleuchtungszauber entscheiden über den Anteil,
den dieses Spiel von Kritikern und Moralisten ertveist. Fast nie schtvingt ein
Herz mit. —

Die moralischen Zwecke der Zukunst sind ungewiß. Wer heute Probleme sieht, soll sie
schlicht auösprechen, ohne zugleich mit Lösungen dienen zu wollen, die das Gegenständ-
liche in Denksäuren zersetzen, aus denen niemals Kristalle auSwachsen werden.
Kristalle wachsen langsam.

Forderungen „Wie etwas sein soll" müssen zurzeit zurücktreten hinter Feststel-
lungen „Wie etwas i st", und zwar im Sinne seiner sozialen Berbindlichkeit. Jm
Besonderen gilt dies von Betrachtungen im Umkreis der Künste.

-I-

Über Wcsen und Berechtigung der Oper als eigener Kunstgattung ist soviel ge-
schrieben und theoretisiert worden, daß es ermüden toürde, wollte man mit der selbst-
bewußten und so beliebten Formcl „eö muß nun endlich eiumal auögesprochen wev-
den" vor jene kleine Jntelligenzgruppe hintreten, die ein geistreiches Brillantseuer-
werk erwartet, ohne verantwortliches Denken zu beanspruchen. Jn der Theorie ist
es leicht, die Oper für eine Mißgeburt zwischen literarischcm Bühnenspiel und „ab-
soluter" Musik zu erklären.

Die literarisch-dramatische Zuspitzung dcr Tragödie aus das Schicksal der nervöscn
Oberslächc von Persönlichkeiken widerspricht dem Charakter der Musik, die von
allen Künsten am stärksten die Neigung hat, Schicksal zu entpersönlichen, überhaupt
Schicksal lyrisch (darum nicht weichlich!) aufzulösen. Musik hemmt das Denken und
entbi'ndet reines Empfinden. Die dramatische Kunst sordert geradezu zur Begrisss-
bildung, zum Denkvergleich, zum Urteil herauö. Sie beruht auf Kritik und Wertung.
Daß die Oper im Schmelzfluß dieser beiden, nicht nach Bereinigung strebenden Me-
talle noch nie ein schlackenreines Gemisch crgeben hat, erhellt aus der Unsumme von
Experimenten, diesen Stein der Weiscn zu sinden.

Ja, man bleibt noch immer der Ubertreibung fern, wenn man behauptet, daß jede
Oper, soweit sie cinem schöpferischen Geist das Lcben dankt, cinen eigenen Stil hat
und einen neuen Dersuch darstellt, das Ouadrat dramatischer Kunst in den Kreis
der Musik umzukonstruieren.

Jn der musikalischen Renaissance, die etwa hundert Jahre nach der bildnerischen
einsetzte, fand man rasch eine vortressliche Hilsskonstruktion, die eü ermöglichte, die
dramatischen Abläufe von den Stimmungcn abzutrennen, dic in Selbstbetrachtungen
zu verweilen lieben und die Entschlüsse zur Schicksalstat vorbereiken. Diese Empsin-
dungsinhalte ließen sich in der Arie musikalisch angemessen versinnlichen. Sie ge-
statteten symmetrischen Ausbau, ohne den weder im Bereich der Kunst noch der
Natur eine Form sich mit Leben füllen kann, um Gestalt zu werden. Die Handlung
jedoch, die alle Glei'chgewichte und Formen zerstört, vcrlegte man in daü Rezitativ.
Diese Art der Oper, in Jtalien geboren und von Mozart zur Vollendung gebracht,
erfordert vom Komponisten dcn seinsten Takt im Auswägen der dramatischen und
lyrischen Gehalte.

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