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Die Gartenkunst — 5.1903

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Lange-Dietharz, Willy: Gartengedanken
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https://doi.org/10.11588/diglit.58968#0124

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V, 6

DIE GARTENKUNST

101

diese Fragen zu kennen, falsche Grundsätze („Grundsatz“ im
Sinne logischer Beweisführung gemeint) aufstellt und aus ihnen
zwar kasuistisch richtige, aber sachlich falsche Folgerungen
zieht.
So findet sich z. B. in Schulze-Naumburgs Buch „Gärten“
der Grundsatz: „Der Garten ist die erweiterte Wohnung des
Menschen“. Das ist keine Begriffserklärung, sondern die Fest-
stellung einer oft auftretenden Eigenschaft des Gartens.
Eine dementsprechende „Begriffserklärung“ des Pferdes würde
lauten: „Das Pferd ist das erweiterte Gehwerkzeug des Men-
schen.“ Hierin kommt die anthropozentrische Weltanschauung
zum Ausdruck und — folgerichtig — ist nach Schulze-N. nur der
„Kunstgarten“, der (fälschlich) architektonisch genannte Garten
der einzige richtige. Nur dieser kann ihm die Bedürfnisse be-
friedigen, die „vernünftige“ Menschen an den Garten zu stellen
haben.
Dem stelle ich meine Anschauung gegenüber, aus meiner
Begriffserklärung (Garten = umgürteter Teil der Landschaft)
im Sinne naturwissenschaftlicher Weltanschauung weiter folgernd:
Pflanze und Mensch sind im Garten gleichberechtigt.
Hieraus folgt:
I. Die Pflanze verlangt naturgemässen Nährboden in natür-
licher Gestaltung nicht nur für ihre körperlichen Bedürfnisse,
sondern auch für ihre „seelischen“. Die seelischen Bedürfnisse
denke ich „künstlerisch“ in die Pflanze hinein, da ich ihr „Recht“,
„Willen“ auf Grund naturwissenschaftlicher Weltanschauung
zuerkenne. (Diese Auffassung ist dei- früher „ästhetisch“ ge-
nannten verwandt, aber einfacher.)
II. Die Menschenwerke erhalten vernünftige zweckvolle
Gestaltung:
a) Einfach „naturgemäss“, d. h. so, wie der ungelernte, nur
geschickte Mensch die von der Natur ihm gebotenen Stoffe
verarbeitet. Naturbauten im echten (nicht pseudonatürlich
verkünstelten) Sinne.
b) Handwerksmässige Bauten.
c) Künstlerische Bauwerke.
Sch.-N. sagt ferner: Es sei widersinnig, im kleinen Garten
die grofse Natur nachbilden zu wollen in Wasser, Felsen.
Demgegenüber folgere ich aus meinem Grundsatz:
Der Garten soll als ein (von der menschlichen Bebauung,
übrig gebliebener) Rest derjenigen Landschaft betrachtet wer-
den, in welcher er liegt, und dieser Rest soll mit künstlerischen,
(d.h. naturwahren) Mitteln (nicht mit künstlichen, d. h. unwahren,
bis zu der höchsten Mannigfaltigkeit des Inhaltes gesteigert
werden, welche unter günstigen Umständen auch die Natur
(innerhalb ihrer zusammenhängenden Gesetze von Ursache und
Wirkung) hier hätte schaffen können.
Also nicht die Natur schlechthin ist mein Vorbild, sondern
die Charakterlandschaft, in welcher der Garten jeweilig liegt
in Natur- und Menschenwerken (Volksbauten der Heimat-
genossenschaften).
Seit Jahren vertrete ich diese Anschauungen in der Öffent-
lichkeit und bitte den Verfasser des Buches „Gärten“, sie auf
logischem Wege zu widerlegen. Diese Anschauungen dürften
sich mit denen aller Gartenkünstler, die diesen Namen ver-
dienen, decken. Nur die Ausdrucksform kann verschieden
sein. Ich habe, weil mir für die Belehrung geeigneter er-
scheinend, nicht den bisher üblichen ästhetischen Weg gewählt,
sondern den logisch-naturwissenschaftlichen. Das Vorbild der
Natur schlechthin, einer Ideal-Landschaft, wie es unter der
Herrschaft vorwiegend ästhetischen Zeitgeistes Mitte des
vorigen Jahrhunderts für Deutschland aufgestellt wurde,
habe ich beschränkt auf die Natur (Landschaft), in welcher
der Garten liegt. Das ist vor allem eine Berücksichtigung der

heute erweiterten Wohnmöglichkeit in Gegenden (besonders
Gebirgen), die erst seit ‘z0 Jahren allmählich mehr und mehr
dem Wohnen und dem Verkehr zugänglich gemacht sind.
Ich bekenne mich gern zur Meisterschaft Meyers und man-
cher anderer — ohne doch mich zeitlebens als Schüler zu
fühlen. Andere Zeiten, andere Aufgaben: es wäre kein gutes
Zeichen für die Gedanken Meyers, wenn sie nicht bis in unsere
Zeit hinein fruchtend entwickelungsfähig wären. Daran mufs
man erinnern, weil vielen als Gegner gilt, wer nicht auf die
den bestimmten Zeitverhältnissen angepafsten verba magistri
schwört. Der „Geist“ macht und bleibt lebendig, wenn er
gut war.
Folgerichtig — weiter — schwärmt Sch.-N. für die Gärten
aus der Zeit, als Goethe lebte — das war aber nicht „Goethes
Zeit“. In Goethes Geist beginnt unsere Zeit erst hinein-
zuwachsen.
Aber das Alte scheint Sch.-N. viel besser als das Neue.
Vom Alten ist uns jedoch fast nur das Gute, Echte erhalten; die
auch damals — vergl. Goethe! — übergrofse Menge des Minder-
werten ist verweht. Was uns heute am Alten reizt, ist die
„Stimmung“. Die alten Bürger trieben in ihren Hausgärten,
Pflanzenzucht unter der Form des Gartenbaues, lediglich
mit nützlichen Zielen, unbeeinflusst von ästhetischer Klügelei
oder vom Streben nach Kunst. Sie freuten sich am Einzelnen,
ohne die Wirkung des Ganzen zu übersehen. Sie schufen die
Gärten selbst oder mit handwerklich tüchtigen Gärtnern, daher
waren ihre Gärten mit persönlichen Beziehungen erfüllt. Die
Einteilung entsprang dem einfachen Ordnungssinn, und seine
Befriedigung erzeugt den angenehmen Eindruck der Sorgfalt
auch heute noch; mehr aber nicht! Zur Zeit der Entstehung
waren jene Gärten ebenso nüchtern, wie jeder heute durch die
Mittel blosser Ordnung gegliederte Garten. Aber die Natur
hat den Zwang der Ordnung abgeschüttelt, die Regelmässigkeit
aufgelöst in malerische Freiheit, welche heute so stimmungsvoll,
d. h. unserm Empfinden erst verständlich zu uns spricht.
Damals hätte man das „verwildert“ genannt. Darum muten
iins jene Gärten heute nicht durch, ihre regelmässige
Flächengliederung an, wie Sch.-N. und vor ihm Alfred Licht-
wark meint, sondern trotz der anthroprocentrischen Form. In
den von Sch.-N. als Muster aufgestellten Gartenhäusern zeigt
sich meistens der handwerksmässige Quint-Extrakt des Barock-
stils, weiter nichts. Der ausführende Handwerker dachte sich
damals gar nichts dabei; er schuf in den Formen, die ihm seine
Zeit bot — wie heute auch! An dem, was uns von Kunst-
gärten der anthropocentrischen Weltanschauung erhalten ist —
die ihren Höhepunkt unter Ludwig XIV. erlangte — wollen
wir uns freuen: es sind wahrhaft königliche, Herrscher-Gärten:
Sanssouci, Linderhof und ähnliche, in denen auch ich mein
Auge schwelgen lasse. Unterdessen hat sich aber auch die
Freude an der Landschaft, am malerischen Bild im Raum —
vor allem durch Goethe! — entwickelt. Wir haben die Fähig-
keit gewonnen, statt nur Symmetrie, d. h. Gleichmafs schön
zu finden, auch das „Gleichgewicht der Massen“, die freie
Verteilung der Gegenstände im Raum zu geniefsen. Darum:
je nach persönlicher Weltanschauung und Empfindung pflege
man beides: aber bewul’st und klar ohne ästhetische Schein-
begründungen. (Für alle Gärten, welche dem Nutzen dienen,
ist geometrische regelmäfsige Anordnung das richtige, denn
hier herrschen wir über die Pflanzen bis zum — Aufessen.)
Noch zu einem ein Wort: Richtung der Wege; Sch.-N. sagt:
Die natürlichen Wege der Menschen sind gerade! Ich sage:
sie sind krumm! Wir gehen, geleitet von den Augen, Hinder-
nissen ausweichend. Darin sind wir einig. Stelle ich nun die
Hindernisse im Garten so, dafs die Hauptgegenstände gerade
 
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