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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 1- Nr. 8 (5. Januar - 29. Januar)
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jener Zeit und in Rückſicht auf ſeinen Begleiter einge-
laden worden. In Bezug auf dieſen Begleiter äußerte
der alte Herr einiges Bedauern, als er börte, derſelbe
verlaſſe auch ſchon die Stadt. Allein dies Bedauern
klang ziemlich kühl — war uur eine Höflichkeitsformel.
„Hoffentlich ſehen wir Herrn von Keudelitz wieder,
wenn mein Schwiegerſohn erſt hier iſt“, fügte er hinzu.
Thymo antwortete durch eine Verneigung. Dann
trennte man ſich haſtig, um nicht gar zu kalte Füße
zu bekommen auf dem reifbedeckten Boden. Die Engern-
ſtein's betraten ihr Haus, der Fremde blieb ſtehen und
ſchaute ihnen mit eigenthümlichem Lächeln nach. Es
hatte eine ſtarke Beimiſchurg von Hohn; dennoch ſtieg
der Ausdruck der Unſicherheit in ſeinem Antlitz auf,
färbte dieſes mit dem lichten Roth der Beſchämung.
Im nächſten Moment hatte er indeß dieſe Regung
überwunden, warf wehmüthig den Kopf in den Nacken
und legte die Hand auf das Schloß der Hausthür.
Ein leiſes „St. Herr, einen Augenblick!“ ließ ihn
innehalten.
Sein Freund und Gefährte, Herr von Keudelitz,
nahte raſch, ſchaute vorſichtig umher und blickte ihn
fragend an. „So wollen wir alſo wirklich Fort?“ wis-
perte er.
Thymo nickte bejahend. „Halte Alles bereit, Joſt.
Verzehre noch Dein Mittagsmahl, ohne auf mich zu
warten, ſollte ich nicht zur rechten Zeit im Schönhof
ſein.“ Er ſprach leiſe, doch mit dem Nachdruck des
Gebieters.
Die Geberde der Zuſtimmung, mit welcher Joſt ſich
entſernte, war die eines an Gehorſam gewöhnten
Dieners. Er ſchien indeß auch gern zu gehorchen. „Ich
will einen ellenhohen Sprung thun, bin ich erſt aus
dieſen Mauern, die einen zu erdrücken ſcheinen“, ſagte
er zu ſich ſelber. „Aber eigentlich ſind es nicht die
Mauern, ſondern das verd.. Zeug, das mir die Seele
aus dem Leibe heizt.“ Er blickte auf ſeine Pluder⸗—
hoſen, deren weite Puffen allerdings mit Baum wolle
ſo ausgeſtopft waren, daß ſie immerhin warm machen
konnten. „Hätte ich's nur erſt glücklich wieder von
mir gethan! Aber das niedliche Mädchen möchte ich
doch noch gern irgendwo treffen und nach Herzensluſt
küſſen — es gefiel mir beſſer, als all die Patrizier-
kinder zuſammen. Muß mein Herr juſt denſelben Ge-
ſchmack haben. — Die iſt's freilich nicht“, lachte er dann
auf. „Aber was guckt das Weibsbild Einen an, als
wolle es nicht blos das Herz durchſchauen, ſondern
auch gleich die Nieren prüfen?“ Es galt der verhüll-
ten Oberbürgerfrau, die ihm begegnete und ihn forſchend
anſtarrte. Er konnte nicht unterlaſſen, ihr eine Gri-
maſſe zu ſchneiden. Eilig ſchritt er dann dem Schön-
hofe zu, wo er mit ſeinem Begleiter Herberge genom-
men hatte.
An dem der Hausthür nächſten Fenſter des Erd-
geſchoſſes ward innen leiſe, doch ungeduldig gepocht
und Thymo überſchritt eilig die Schwelle des Hauſes.
In dem geräumigen Flur befand ſich Niemand, die
Dienſtleute nahmen entweder ſchon die Mittagsmahl-
zeit ein, oder bereiteten dieſelbe für die Herrſchaft,

oder mühten ſich in der großen finſtern Küche, die
nach dem Hofe hinauslag, für die zu erwartenden Gäſte
durch Herſtellung von Backwerk und Speiſen, ſoweit
letztere nicht der Rathskoch lieferte. ö
Thymo verſchwand alſo ungeſehen in dem großen
Vorderzimmer.
Eine Weile nach ihm ſchlüpfte die Handwerkerfrau
ins Haus und verbarg ſich hinter dem Hals der Treppe,
die hinabführte in die rieſigen Keller, welche in dem
hier überall zu Tage tretenden Baſalt zur Aufbewah-⸗
rung des Bieres angelegt waren.
Das Zimmer, das nebſt dem Flur den ganzen vor-
dern Raum des Gebäudes ausfüllte, ward einſt benutzt,
um daß Gebräu auszuſchenken. Seit langer Zeit war
das indeß nicht mehr Brauch geweſen, wurden die Biere
im Ganzen an ſtädtiſche Schänken und die Beſitzer des
Kretſchams innerhalb der Bannmeile verkauft. Jetzt
ſpeiſte man hier, wenn Gäſte anweſend. Zu ſo großen
Feſten, wie eine Hochzeit, reichten die Räumlichkeiten
auch des weitläufigſten Bürgerhauſes nicht aus, benutz ⸗
ten die Großbürger den Saal des Kaufhauſes, da ſich
im Rathhauſe zu Görlitz kein ſo großer Saal befand,
während die Handwerker oder wie ſie genannt wur-
den, Mitbürger, im Salzhauſe auf dem Obermarkte
ihre Hochzeitsſchmäuſe und die davon unzertrennlichen
Tänze abhielten. ö
Heute, am Sonntage, pflegten laute Gaſtmahle nicht
gegeben zu werden, es kamen nur die allerdings zahl-
reichen Verwandten zum Abendeſſen, während am fol-
genden Tage noch einmal im Kaufhauſe getanzt und
geſchmauſt wurde. Die langen Tafeln waren ſchon ge-
deckt und mit Servietten und Tellern verſehen. Sein
Meſſer brachte der Gaſt ſelber mit, trug es überhaupt
ſtets bei ſich, das weibliche Geſchlecht, je nach Stand
und Vermögen, in mehr oder minder zierlichen und
koſtbaren Scheiden am Gürtel. Gabeln waren damals
noch nicht gebräuchlich.
Der rieſige Kachelofen war ſchon Morgens geheizt
worden, alſo veranlaßte nicht Kälte Engelbrechta, mit
dem zierlichen Hackenſchuh leiſe gegen die bunten Flie-
ſen des Fußbodens zu ſtampfen, als Thymo endlich er-
ſchien. Den ſeidenen Pelzmantel hatte ſie abgeworfen,
doch nicht die Haube mit dem Schleier, den eine gol-
dene Leiſte hielt. ö
„Euer Dank für die bei uns genoſſene Gaſtfreund-
ſchaft bedurfte wohl kaum ſo vieler Worte“, begann
Engelbrechta zwiſchen Spott und Verlegenheit. „Zum
Mittagsmahl waret Ihr noch nicht anweſend, zum
Abendeſſen entferntet Ihr Euch — wohl um Euch nach
dem hübſchen Mitbürgermädchen zu erkundigen? — Beim
Umherreichen von Wein, Confekt und dergleichen miedet
Ihr es, etwas anzunehmen — ginget den Aufwärtern
ſo geſchickt aus dem Wege, daß weder ſie noch die
Andern es merkten. Wozu, in welcher Abſicht geſchah
das?“ ö ö
Thymo hatte die Farbe gewechſelt, ſagte jedoch un-
befangen und in ehrerbietigem Tone: „Oh, Ihr habt
das bemerkt, Fräulein? Nun, ich ſcheue mich, offen ge-
ſtanden, vor dem Wein, deſſen die Bewohner dieſer

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