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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 1- Nr. 8 (5. Januar - 29. Januar)
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heidelberger Volksblatt.

Nr. 7.

Mittwoch, den 26. Januar 1876.

9. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Aus dunkler Zeit.

Sittenbild von Marie von Roskowska.
(Fortſetzung.)

Finſter wandte er ſich zu ihr zurück. „Noch einmal
muß ich Euch ſagen; wenn Ihr mir nur Eure Huld
ſchenktet, weil Ihr mich für mehr als für einen ein-
fachen Magiſter —“
Lächelnd ſchloß ſie ſeinen Mund, indem ſie die weiche
mit Ringen geſchmückte Hand darauf legte. „Wer ſpricht
denn davon? Ich dachte nur an Eure nächtliche Se-
renade, von der die Viehmagd mir eben erzählte, die man
für einen Spuk, ja für ein Blendwerk des Leibhaftigen
ſelbſt hielt.“
Er drückte ihre Finger wiederholt an ſeine Lippen.
Scheinbar erzürnt wollte ſie ihm die Hand entziehen.
Um Vergebung flehend kniete er vor ihr nieder, be-
hielt indeß ihre Hand in der ſeinigen und fuhr fart, die-
ſelbe feurig zu küſſen.
Sie wollte ihn muthwillig emporziehen und er ließ
es auch geſchehen. Dann umſchlang er ſie ungeſtüm.
Erſchreckt und ärgerlich über dieſe Kühnheit wollte ſie
ſeinen Armen ſich entringen. Umſonſt, er hielt ſie nur
feſter und wagte ſogar, ſie zu küſſen.
„Ich rufe um Hilfe!“ ſtammelte ſie.
Er lachte und küßte ſie wieder.
Die Drohung war auch nicht ernſt gemeint. Wie
hätte ſie ſelbſt Zeugen herbeirufen ſollen?
Ein faſt ſchmerzhafter Druck an ihrem Arm machte
ſich fühlbar und brach vollends jeden ferneren Wider-
ſtand. Er vührte von dem Siegelring her, den er am
Finger trug. ö
„Sie legte die weichen Arme um ſeinen Hals und er-
widerte ſeine Küſſe. Dabei hörte ſie nicht das leiſe Ge-
räuſch draußen vor der Thür.

Ihm entging es nicht. Ein ſonderbarer Ausdruck,
ein Gemiſch von Hohn und Triumph flammte in ſeinen
leuchtenden Augen auf. Hätte ſie denſelben gewahrt, er
würde ſchnell den Rauſch verſcheucht haben, dem ſie ſich
hingab.
„Wenn man Dich ſo fände — in den Armen eines
Magiſters 7. fluͤſterte er mit unverkennbarem Frohlocken.
Zugleich hielt er ſie ſo feſt, daß ſie ihm nicht entſchlüp-

erklungen war und jetzt einige Reiter

fen konnte und preßte wieder lange und feſt ſeine Lip-
pen auf die ihrigen.
Es kam jedoch Niemand — das Geräuſch war ver-
ſtummt.
Und ſie erwiderte keck ſeinen langen Kuß, ſagte dann

noch athemlos und glühend, doch mit der Ruhe eines

feſten Entſchluſſes: „Dann überlaſſe ich es dieſem —
Magiſter, für uns Beide zu ſprechen und zu handeln.“
Er ließ plötzlich ab von ihr. „So liebſt Du mich
wirklich, wahrhaft, Engelbrechta? Mich, den armen
Thymo?“ Seine Augen hingen geſpannt, durchbohrend
an ihrem Antlitz.
Sie wandte es ab. Wenn Du jetzt noch fragen
magſt —“
„Ach, das verdiene ich nicht!“ rief er mit einem
plötzlichen Ausbruch des Schmerzes, nahm ſanft ihre
Hände in die ſeinen und bedeckte fie mit Küſſen. „Es
iſt zu viel Glück für — für einen armen Magiſter.“
Ee hatte offenbar urſprünglich etwas ganz Anderes ſagen
wollen, ſich aber noch rechtzeitig beſonnen.
„Das wird auch mein Vater, der nun ja bald kommt,
das werden auch meine Verwandten ſagen! So lieb
mir der liebenswürdige Thymo iſt, ihnen wiro der Ma-
giſter Rächer wohl nicht allzu willkommen ſein.“ Sie
ſchüttelte lächelnd den Kopf.
Ihr Lächeln ſchien ſich auf ſeinem Antlitz wiederzu-
ſpiegeln. Zugleich überſiammte ein dunkles Roth ſeine
weiße Stirn und haſtig beugte er ſich wieder aut ihre
Hand nieder. Bald richtete er ſich jedoch auf, warf das
lockibe braune Haar aus dem Geſicht zurück und ſprach
feurig: „Wenn Du den armen Thymo liebſt, wird er
auch fähig ſein, dieſe Deine Liebe der ganzen Welt gege-
nüber zu behaupten! Freilich wird es Deinerſeits ſtarke
Proben der Wahrheit und Tiefe Deines Gefühls bedür-
fen. Aber ein wahres Gefühl hat keine Proben zu ſcheuen.
Und eind unerprobte Liebe könnte mir nimmer genügen.
Nun lebe wohl, meine Liebe! Du wirſt bald von mir
hören!“
Sie hatten nicht beachtet, daß Hufſchlag auf der Gaſſe
dem Hauſe

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*

hielten.
Bewegt küßte er ihre Stirn und wandte ſich der
Thür zu. In demſelben Augenblick ward dieſe aufge-
riſſen, ſtürzte die Frau herein, welche ſich vorhin hinter
der Treppe verborgen hatte.

„Er iſt da!“ ſtammelte Benigna's Mutter athemlos.
 
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