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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 9 - Nr. 16 (2. Februar - 26. Februar)
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Nr. 9. Mittwoch, den 2. Februar 1876. 9. Jahrg.

ärſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4
ö und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö

Aus dunkler Zeit.
Sittenbild von Marie von Roskowska.

CFortſetzung.)

Thymo hatte inzwiſchen einen Blick aus dem Fenſter
geworfen und ſich lebhaft gefärbt. Raſch trat er zu-
rück in die Ecke, als fürchte er, geſehen zu werden. Den
beiden Anderen war dieſe Bewegung entgangen, fie hatten
mit ſich ſelber, mit ihren eigenen Gedanken zu thun.
Das junge Paar lauſchte dann halb beklommen, halb

ungeduldig dem Klirren der Sporen und dem Geräuſch

der ſchweren Reiſeſtiefel auf der ſteinernen Treppe, das
ſich allmälig verlor unter dem Lärmen vor der Thür
und im Flur. Dieſer währte indeß nicht lange. Die
herbeieilenden Dienſtleute öffneten ſogleich das große
Thor, ließen die Begleiter des Herrn ſammt den Pfer-
den ein und führten ſie nach dem Stall und der Ge-
findeſtube neben der Küche. In kurzer Zeit ſchon ward
es ſtill im Flur.
„Jetzt fort!“ flüſterte das Fräulein.
In demſelben Moment ſchon kam Thymo dem Be-
fehl entgeaen, indem er ſich mit einem Blick des Ein-
verſtändniſſes vorbeugte.
Frau Elſabe batte ibre tiefliegendun Augen ſtarr auf
Engelbrechta gerichtet. Als ſie jedoch den jungen Mann
das Gemach verlaſſen ſah, raffte ſie ihre Kraft zuſam-
men und eilte ihm nach. „Jetzt grade erſt recht!“ flü-
ſterte ſie in ſich hinein.
Engelbrechta nabm ihren Mantel auf und legte ihn
gemächlich um. „Da der Herr Vater mich ſo lange
warten ließ, kann er ſich auf meinen Anblick auch wohl
ein wenig gedulden“, dachte ſie. „Daß er gerade jetzt
kommen muß und die wahnſinnige Alte »denein! Ich
glaube gar, ſie ſpionirt mich und ich hätte es ihr ernſt-
lich verweiſen ſollen. Auch verbieten, daß ſie jetzt nicht
etwa plaudert. Thymo war übrigens ziemlich betreten.
Ob er vielleicht meinen Vater kennt?“ durchblitzte es fie
plötzlich. „Es wäre nicht namöglich; da er ſo weit um-
her kam. Eigentlich ein ſeltſamer, närriſcher Menſch —
wahrhaftig ein Schwärmer, wie Herr von Keudelitz ſich
auszudrücken beliebte. Nun meinetwegen — ich bin be-
reit zu allen möglichen Liebesproben, laſſe mich ſogar
von ihm entführen, wenn er will und der Vater mich
etwa mit dieſem Tölpel von Keudelitz zu verheirathen

beabſichtigt. Aber ſeinen Namen könnte er mir wenig-
ſtens ſagen.“ Weiter kam ſie nicht in ihrem Selbſtge-
ſpräch, da ſie mittlerweile oben angelangt war. —
5Herr, ein Wort!“ rief leiſe die Kerbelin hinter
Thymo, der haſtig die Gaſſe hinabeilte.
Er mäßigte nur ungern ſeinen Schritt, meinte in-
deß, ſie habe einen Auftrag von Engelbrechta.
„Seid Ihr der Herr Magiſter, der geſtern Benigna
Kerbelin — hm!“ unterbrach ſie fich ſelbſt, da ſie ihn
ſchärfer ins Auge gefaßt hatte, als das bisher geſchehen
war.
Ueberraſcht blickte auch er fie an. „Ja, liebe Frau,
der bin ich. Was habt Ihr mir zu ſagen?“
Sie wußte das anſcheinend ſelber nicht, und ſtarrte
ihn mit faſt irrem Ausdruck an. „Sie iſt guter Leute
Kind“, preßte ſie endlich abgebrochen hervor. „Und ſelber

gut — oh, ein wahrer Engel! Würde die Zier jedes

Hauſes, ein wahrer Hausſchatz ihres Eheliebſten ſein.“
Er machte eine zuſtimmende und doch verwunderte
Geberde. „Das bezweifle ich nicht, bin ſogar feſt da-
von überzeugt. Aber —“ ö
Sichrer fiel ſie ein: „Nun alſo! Ihr habt ſie ge-
ſtern zum Tanz aufgefordert, habt in der Nacht unter
ihrem Fenſter geſungen, und ſie heute in der Kirche nicht
aus den Augen gelaſſen, ſeid ihr ſogar nachgegangen.
Und ihr ſeid nicht von Adel, könnt eine Handwerker-
tochter unbeſchwert freien. Und Ihr ſeht aus, als könnte
man Euch vertrauen, ſelbſt ein heiliges Gut anvertrauen.
Wenigſtens rede ich mir das ein, will, muß es mir
einreden.“ —
„Aber ich begreife Euch nicht. Wer ſeid Ihr?“
„Elſabe Kerbelin!“
„Kerbelin!“ Thymo maß ſie noch erſtaunten Blicks.
„Etwa gar Benigna's Mutter? Unmöglich!“
Ein wahrhaft flammenſprühender Blick traf ihn.
„Warum zweifelt Ihr — daran?“ ſragte ſie gereizt.
Er ſuchte ſie zu beſchwichtigen und ſetzte dann hin-
zu: „Noch immer weiß ich nicht, was Ihr wollt?“
„Herr, ich habe wohl beobachtet, wie Ihr das Mäd-
chen angeſehen, denn ich ſtand in der Kirche ganz in
Eurer Nähe hinter einem Pfeiler. Nun, man geberdet
ſich gegen eine ehrbare Jungfrau nicht ſo, ohne daß
man Abſichten hat. Daher komme ich Euch entgegen —“
„Und das Mädchen weiß darum?“ fiel er erregt ein.
Sie zuckte die Achſeln. „Welcher Einfall!“ ö
„Ehe ihr weiter ſprechet, hört mich an, Frgu Ker-
 
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