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rumpeln, glückte auch nicht, — wußte man denn, wo er
gerade herbergte? Bald hier, bald dort. Die fürſtliche
Freigebigkeit, die er bewies, ſicherte ihm unter den ver-
wilderten, von dem Herrn gedrückten, ausgeſogenen Leib-
eigenen einen Anhang, der ihn benachrichtigte, warnte
und ihm die Verfolger irre fahren half. —
Inmitten einer großen Haide, die ſich meilenweit hin-
ausſtreckte, lagen auf einer Höhe die Reſte einer Burg.
Ein Raubritter hatte einſt hier gehauſt und der Städte-
bund ſein Neſt erſtürmt, gebrochen und niedergebrannt
Bäume und Sträucher wucherten nun zwiſchen dem Ge-
ſtein; den ehemaligen Burghof deckten verwitterte Trüm-
merhaufen und rorjähriges Laub. Eine gewaltige Linde
breitete ihr kahlen Aeſte darüber hin. Etwa ſo hoch vom
Erdboden, daß die erhobene Hand eines Mannes hin-
aufreichte, befand ſich eine Höhlung, deren Eingang ziem-
lich eng war und ſich nach innen vertiefte, ſo daß ſie
als ein trefflicher Verſteck dienen konnte.
Hier, unter der Linde, räumte Elſabe Kerbelin vor
Tagesanbruch einige Steine neben einem großen Haufen
derſelben fort und begann dann mit einer Schaufel die
Erde aufzuwühlen. Kein Lüftchen regte ſich, der Mor-
genwind war noch nicht erwacht. Nur das leiſe Ge-
ſpräch, das ſie mit ſich ſelber führte, unterbrach die
Stille, welche dem Sonnenaufgang voranzugehen pflegt.
„Es iſt eine Erleichterung, mit ſich ſelbſt reden zu kön-
nen, ohne Furcht, daß man belauſcht wird. Ich habe ja
Keinen, mit dem ich ſprechen könnte, dürfte — und das
Schweigen drückt Einem zuletzt das Herz ab und ver-
wirrt den Verſtand. Es iſt, als wenn man bei großen
leiblichen Schmerzen nicht ſtöhnen und wimmern ſoll und
doch lindert das Aechzen und Schreien. Wäre Benigna
nicht ſo rein und arglos, ſie hätte ſich aus Manchem,
was mir entſchlüpfte, die Wahrheit zuſammengereimt. —
So, nun habe ich es bald! Kenne das Plätzchen ja
ſo genau, daß ich es mit verbundenen Augen auffände.
Wie viele, viele Male ſchlich ich ſonſt hier herum und
wagte nicht, es aufzuwühlen, ſah nur nach, daß die Stelle
unberührt geblieben. Wer ſollte ſie auch berühren? Wußte
doch keine Seele, was ſie barg — Ehre und Schande,
Wohl und Wehe dreier Menſchen. Keine Seele außer
mir! Keine lebende Seele! Denn die Todten —“ zu-
ſammenſchauernd hielt ſie inne und ſchaute umher, als
argwöhne ſie, beobachtet zu ſein. Die dunkle Geſtalt,
welche an der audern Seite des Lindenſtammes lehnte,
als ſie kam, gewahrte ſie nicht bei der Dunkelheit und
der Regungsloſigkeit derſelben. Da Alles ruhig blieb,
fuhr ſie eifrig in der Arbeit fort und die drängenden,
gährenden Gedanken ſuchten ſich bald wieder den Weg
über die Lippen — erſt leiſe, undeutlich, unzuſammen-
hängend, dann wieder lauter: „Mein armes, liebes
Kind, wenn Du wüßteſt, wem Du entſtammſt — wenn
es an das Tageslicht käme! Du würdeſt Deiner Mutter
fluchen, die ſolche Schmach, ſolch Elend über Dein ſchuld-
loſes Haupt gebracht. Sie meinen, ich ſei eine liebloſe
Mutter! Oh, ich bin nur unglücklich — war zu ſchwach,
zu liebevoll. Er trägt ja auch Schuld. Die Verſuch-
dern! — Aber es geſchah aus Liebe!
ung war zu groß, ich konnte nicht widerſtehen. Und
ich habe es ſo ſchwer, ſo unſäglich ſchwer gebüßt, all die
langen, langen Jahre hindurch. Freilich — ein ſolcher
Mißbrauch des Vertraueus, heiligſten Vertrauens! Ich
ſehe noch das Schmerzeuslächeln, mit dem ſie mir ſter-
berd ihr Kind übergab — eine junge Mutter der an-
Und die Noth,
die Armuth iſt etwas ſo Entſetzliches. Da — endlich!“
(Fortſetzung folgt.)
Vermiſchtes.
(Die Geſammtzahl der Künſtler), welche
aus Dentſchland die Ausſtellung in Philadelphia be-
ſchicken werden, beträgt 154, von welchen 27 ſich noch
nachträglich gemeldet haben. Die deutſche Kunſt wird
demnach verhöltnißmäßig in ſehr geringem Umfange ver-
treten ſein. Viele Künſtler haben die Koſten der Sen-
dung geſcheut und auch die Seegefahr für ihre Arbeiten
gefürchtet.
(Zur Scheffelfeier.) Auf ein Glückwunſch-
telegramm des akademiſchen Turnvereins zu Greifswald
an Joſ. Viltor Scheffel hat Letzterer eigenhändig nach-
folgende Antwort ergehen laſſen: ö
Gutheil, Gruß und herzlichen Dank für die liebens-
würdigen Glückwünſche zum 50jährigen Geburtstage. Es
freut mich hoch, einen Gruß von der Oſtſee zu erhal-
ten; ſie hat mich mit ihrem Wellenſchlag, da ich als
Student auf Rügen Feuerſteine und Verſteinerungen am
Kreideſtrand ſuchte, mir manchen Ton und manch Ge-
heimniß uralter Schöpfungszeit zugemurmelt und die er-
ſten jugendgrünen Verſuche der Dichtung im Herzen
geweckt. ö
So Ihre Wege einmal an den Bodenſee führen, ſind
Sie am Strand von Radolfzell willkommen
Ihrem ganz ergebenen Jubilar
Joſeph Victor v. Scheffel.
(Entſtehung der Omnibuſſe.) Der lauge
Wagen, welchen man Omnibus benannt hat, der ſeinen
Eingang hinten hat und in welchem die Bänke der Länge
nach aufgeſtellt ſind, ſo daß ſich die Fahrenden gegen-
ſeitig in's Geſicht ſehen, ſtammt aus Paris aus dem J.
1827; erſt 1831 wurde er auch in London eingeführt.
London aber hat heut zu Tage mehr und ſchneller fah-
rende Omnibuſſe als Paris. Im Jahre 1874 betrug
ihre Anzahl in London 1563 mit ungefähr 7000 Per-
ſonen Bedienung, trotz der großen Strecken für Pferde-
bahnen und unterirdiſche Eiſenbahnen. In New⸗Mook,
wo im Jahre 1858 noch 459 Omnibuſſe exiſtirten, iſt
rie Zahl jetzt auf kaum 200 Stück, geſunken, da die
Pferdebahnen die größere Anzahl der Straßen in Beſitz
genommen haben. —— ö
rumpeln, glückte auch nicht, — wußte man denn, wo er
gerade herbergte? Bald hier, bald dort. Die fürſtliche
Freigebigkeit, die er bewies, ſicherte ihm unter den ver-
wilderten, von dem Herrn gedrückten, ausgeſogenen Leib-
eigenen einen Anhang, der ihn benachrichtigte, warnte
und ihm die Verfolger irre fahren half. —
Inmitten einer großen Haide, die ſich meilenweit hin-
ausſtreckte, lagen auf einer Höhe die Reſte einer Burg.
Ein Raubritter hatte einſt hier gehauſt und der Städte-
bund ſein Neſt erſtürmt, gebrochen und niedergebrannt
Bäume und Sträucher wucherten nun zwiſchen dem Ge-
ſtein; den ehemaligen Burghof deckten verwitterte Trüm-
merhaufen und rorjähriges Laub. Eine gewaltige Linde
breitete ihr kahlen Aeſte darüber hin. Etwa ſo hoch vom
Erdboden, daß die erhobene Hand eines Mannes hin-
aufreichte, befand ſich eine Höhlung, deren Eingang ziem-
lich eng war und ſich nach innen vertiefte, ſo daß ſie
als ein trefflicher Verſteck dienen konnte.
Hier, unter der Linde, räumte Elſabe Kerbelin vor
Tagesanbruch einige Steine neben einem großen Haufen
derſelben fort und begann dann mit einer Schaufel die
Erde aufzuwühlen. Kein Lüftchen regte ſich, der Mor-
genwind war noch nicht erwacht. Nur das leiſe Ge-
ſpräch, das ſie mit ſich ſelber führte, unterbrach die
Stille, welche dem Sonnenaufgang voranzugehen pflegt.
„Es iſt eine Erleichterung, mit ſich ſelbſt reden zu kön-
nen, ohne Furcht, daß man belauſcht wird. Ich habe ja
Keinen, mit dem ich ſprechen könnte, dürfte — und das
Schweigen drückt Einem zuletzt das Herz ab und ver-
wirrt den Verſtand. Es iſt, als wenn man bei großen
leiblichen Schmerzen nicht ſtöhnen und wimmern ſoll und
doch lindert das Aechzen und Schreien. Wäre Benigna
nicht ſo rein und arglos, ſie hätte ſich aus Manchem,
was mir entſchlüpfte, die Wahrheit zuſammengereimt. —
So, nun habe ich es bald! Kenne das Plätzchen ja
ſo genau, daß ich es mit verbundenen Augen auffände.
Wie viele, viele Male ſchlich ich ſonſt hier herum und
wagte nicht, es aufzuwühlen, ſah nur nach, daß die Stelle
unberührt geblieben. Wer ſollte ſie auch berühren? Wußte
doch keine Seele, was ſie barg — Ehre und Schande,
Wohl und Wehe dreier Menſchen. Keine Seele außer
mir! Keine lebende Seele! Denn die Todten —“ zu-
ſammenſchauernd hielt ſie inne und ſchaute umher, als
argwöhne ſie, beobachtet zu ſein. Die dunkle Geſtalt,
welche an der audern Seite des Lindenſtammes lehnte,
als ſie kam, gewahrte ſie nicht bei der Dunkelheit und
der Regungsloſigkeit derſelben. Da Alles ruhig blieb,
fuhr ſie eifrig in der Arbeit fort und die drängenden,
gährenden Gedanken ſuchten ſich bald wieder den Weg
über die Lippen — erſt leiſe, undeutlich, unzuſammen-
hängend, dann wieder lauter: „Mein armes, liebes
Kind, wenn Du wüßteſt, wem Du entſtammſt — wenn
es an das Tageslicht käme! Du würdeſt Deiner Mutter
fluchen, die ſolche Schmach, ſolch Elend über Dein ſchuld-
loſes Haupt gebracht. Sie meinen, ich ſei eine liebloſe
Mutter! Oh, ich bin nur unglücklich — war zu ſchwach,
zu liebevoll. Er trägt ja auch Schuld. Die Verſuch-
dern! — Aber es geſchah aus Liebe!
ung war zu groß, ich konnte nicht widerſtehen. Und
ich habe es ſo ſchwer, ſo unſäglich ſchwer gebüßt, all die
langen, langen Jahre hindurch. Freilich — ein ſolcher
Mißbrauch des Vertraueus, heiligſten Vertrauens! Ich
ſehe noch das Schmerzeuslächeln, mit dem ſie mir ſter-
berd ihr Kind übergab — eine junge Mutter der an-
Und die Noth,
die Armuth iſt etwas ſo Entſetzliches. Da — endlich!“
(Fortſetzung folgt.)
Vermiſchtes.
(Die Geſammtzahl der Künſtler), welche
aus Dentſchland die Ausſtellung in Philadelphia be-
ſchicken werden, beträgt 154, von welchen 27 ſich noch
nachträglich gemeldet haben. Die deutſche Kunſt wird
demnach verhöltnißmäßig in ſehr geringem Umfange ver-
treten ſein. Viele Künſtler haben die Koſten der Sen-
dung geſcheut und auch die Seegefahr für ihre Arbeiten
gefürchtet.
(Zur Scheffelfeier.) Auf ein Glückwunſch-
telegramm des akademiſchen Turnvereins zu Greifswald
an Joſ. Viltor Scheffel hat Letzterer eigenhändig nach-
folgende Antwort ergehen laſſen: ö
Gutheil, Gruß und herzlichen Dank für die liebens-
würdigen Glückwünſche zum 50jährigen Geburtstage. Es
freut mich hoch, einen Gruß von der Oſtſee zu erhal-
ten; ſie hat mich mit ihrem Wellenſchlag, da ich als
Student auf Rügen Feuerſteine und Verſteinerungen am
Kreideſtrand ſuchte, mir manchen Ton und manch Ge-
heimniß uralter Schöpfungszeit zugemurmelt und die er-
ſten jugendgrünen Verſuche der Dichtung im Herzen
geweckt. ö
So Ihre Wege einmal an den Bodenſee führen, ſind
Sie am Strand von Radolfzell willkommen
Ihrem ganz ergebenen Jubilar
Joſeph Victor v. Scheffel.
(Entſtehung der Omnibuſſe.) Der lauge
Wagen, welchen man Omnibus benannt hat, der ſeinen
Eingang hinten hat und in welchem die Bänke der Länge
nach aufgeſtellt ſind, ſo daß ſich die Fahrenden gegen-
ſeitig in's Geſicht ſehen, ſtammt aus Paris aus dem J.
1827; erſt 1831 wurde er auch in London eingeführt.
London aber hat heut zu Tage mehr und ſchneller fah-
rende Omnibuſſe als Paris. Im Jahre 1874 betrug
ihre Anzahl in London 1563 mit ungefähr 7000 Per-
ſonen Bedienung, trotz der großen Strecken für Pferde-
bahnen und unterirdiſche Eiſenbahnen. In New⸗Mook,
wo im Jahre 1858 noch 459 Omnibuſſe exiſtirten, iſt
rie Zahl jetzt auf kaum 200 Stück, geſunken, da die
Pferdebahnen die größere Anzahl der Straßen in Beſitz
genommen haben. —— ö