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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 35 - Nr. 43 (3. Mai - 31. Mai)
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heidelberger Volksblatt.

Nr. 41.

Mittwoch, den 24. Mai 1876.

. hrd.

erſchernt Mittwoch und Sam ſtag. Preis monatlich 36 Pf. Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgafſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. — ö

Der Kloſterteich.
Von B. M.
1.

„Es iſt die reine Wahrheit, mein Kind“, ſagte Pa-
ſtor Horn, ſich behaglich in ſeinem Lehnſtuhl an war-
men Ofen ausſtreckend, wo er ſich nach der ermüdenden

Runde durch die zerſtreut liegenden Dörfer ſeines Kirch-
ſpiels doppelt wohl fühlte. „Es iſt die reine Wahr-

heit, ich bin Döͤrndurg heute Nachmittag begegnet und
habe ihn gefragt, ob man wirklich grataliren dürfe. Er
antwortete mir ſo glückſtrahlend, als es ihm bei ſeinem
ruhigen, verſchloſſenen Weſen moͤglich iſt: „Ja, Sie
dürfen, denn wir ſind ſoeben einig geworden.“
„Alſo wirklich?“ ſagte die Paſtorin vom Theetiſch
herüber; „nun, ſehr überraſchend kommt mir die Sache
gerade nicht. Ich will nur gleich morgen früh zu Els-
beth gehen und ihr meinen Glückwunſch briagen.“

„Richt wahr, Du findeſt es unverantwortlich, daß
ſte ſich wieder verheirathet?“ ſagte der Paſtor lächelnd.

„Ich für meinen Theil gebe ihr vollkommen Recht, daß

ſie ſich einen ſo tüchtigen, achtungswerthen Mann zum
Schutz und Schirm erwählt hat, der im Stande iſt, ſie
anſtändig zu ernähren.“ ö
„Anſtändig zu ernähren!“ rief die Paſtor in, „da
bei Euch Männern doch ewig das leidige Gal die Oaupt-
rolle ſpielt. — Freilich kann ich das arme Kind nicht
verdammen, weil ſie ihrer Verlaſſenheit ein Ende macht;
wenn ich aber Doͤrnburg mit Walier Steinach ver-
gleiche — —“ ö
„Du hatteſt von jeher ein ungerechtes Vorurtheil
gegen Dörnburg, Marie, ich gibe Dir die Verficherung,
daß er ein ganz bedeutender Menſch iſt.

„Was ſein Fach anbelar gt, gebe ich Dir Recht. Er
iſt unbeſtritten der tüchtigſte Arzt in am Holſten und
ich kann nicht faſſen, wie er in einem ſo armſeligen
Neſt, wie unſer Eſtebrügge, ſeine beſten Jahre verbrin-
gen kann. Mir ſind ober nun einmal ſolche ſchroffe,
eiskalte Menſchen bis in den Tod zuwider. Wenn ich
denke, wie offen, heiter und gemüthvoll dagegen Walter
Steinach war! Nein, zu Dörnburg konnte ich vom er-

ſten Augenblick an kein Herz faſſen, und werde es auch

nun und nimmermehr:“

„Wenn's Frau Steinach nur kann, das iſt die Haupt-
ſache!“ ö ——
„Ja, wenn ſie kann — aber unter hundert Fällen
findeſt Du neunundneunzig, in denen die Frau nicht aus
Liebe, ſondern lediglich um der Verſorgung willen zum
zweiten Male heirathet.“ —— ö
„Aber liebſte Marie bedenke doch nur, was für ein
unerfahrenes Kind Elsbeth bei ihrer erſten Verheirathung
war; gerade am Hochzeitstage wurde ſie ſechszehn Jahre
alt. Mich ſollte es nicht wundern, wenn Dörnburg trotz
alledem ihre erſte wahre Liebe wäre.“
„Nicht unmöglich! Liebe iſt unberechenbar! Wenn
ich zurückdenke, iſt es mir wie ein Traum! Kommt es

Dir nicht auch ſo vor, Ernſt, als wäre es erſt geſtern

geweſen, wo Du dieſes glückſelige junge Paar trauteſt.
Walter Steinach und die liebliche ſanfte Elsbeth Wil-
berg?ꝰ? ö ö ö —
„Und doch iſt es ſchon vier Jahee her, Marie!“
„Armes Kind! Und in all der Zeit war ſie nur
vier Monate lang glücklich! Weißt Du noch, wie reizend
ſie bei ihren Brautdiſitten ausſah? Wie vertrauens voll
ſie in die Zukunſt blickte, und wie ſie auf eine Anſtel-
lung fuͤr ihn hoffte, die ihn nicht mehr von ihr trennen
würde? Wie ſie ſich dann in qualvoller Angſt verzehrte,
als die „Möwe“ nicht zur rechten Zei: in Honkong ein-
traf? Sonderbarer Zufall, daß Steinach gerade durch
ſeine Freundſchaft mit Dörnburg hierhergeführt wurde!“
Da Paſtor Horn ſich mittlerweile an den Theetiſch
geſetzt hatte und durch ſeine Abendmahlzeit vollſtändig in
Anſpruch genommen wurde, ſo trat eine Pauſe in der
huuch. Liturg ein, die Frau Horn zuerſt wieder unter-
rach. ö
„Ernſt, kann ſich Elsbeth auch wirklich mit voll-
kommen ruhigem Gewiſſen wieder verheirathen? Biſt Du

feſt überzeugt, daß Steinach todt iſt?“

„Aber Marie, da hört doch Alles auf!“ entgegnete
der Paſtor lachend. „Wo ſoll er denn hingekommen
ſein, wenn er nicht todt iſt? Es iſt ja faſt zwei Jahre
her, ſeit wir den Untergang der „Möwe“ erfuhren.“
„Du haſt Recht, Ernſt“, ſagte ſie nachdenklich. „Gott
gebe, daß Alles wirklich ſo iſt! Wahrhaftig! ich ſchäme
mich faſt vor mir ſelber, daß ich dem armen Walter ſo
aus Herzensgrund den Tod wünſche! Siehſt Du, Ernſt,
das kommt bei dem unverantwortlichen zweiten Heirathen

beraus. Zuletzt kommt man noch dazu, ſich über den
Tod ſeines Mitmenſchen zu freuen,“
 
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