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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 44 - Nr. 51 (3. Juni - 28. Juni)
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heidelber

ger Volksblatt.

Nr. 46.

Samſtag, den 10. Juni 1876.

9. Jahrg.

rſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleg er, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Der Kloſterteich.
Von B. M. ö
Cortſehung.

„Wie reizend ſie heute Abend ausſieht“, flüſterte
die Paſtorin ihrem Manne zu.

ſchöpf.“
„Ja, heute iſt ſie ganz beſonders ſchon; ihr liebens-
würdiger Eifer läßt ſie noch jünger und anmuthizer er-
ſcheinen, als ſonſt.“
„Sie dürfen ſich aber nicht zu viel zumuthen, liebe
Elsbeth“, wandte ſich die Paſtorin mit freundlicher Be-
ſorgniß an ihre unermüdliche Wirthin, als dieſe ſich an
den Flügel ſetzte.
„„Ach, das macht mir das größte Vergnügen!
gibt nichts Reizenderes für mich, als die Kinder ſo recht
glückſelig bei ihren Spielen zu ſehen; ich wünſchte nur,
mein Mann wäre hier.“ ö
„Ich nicht“, dachte Frau Horn, „ich weiß nicht,
warum ich den Menſchen nicht leiden kann. — Waan
erwarten Sꝛe ihn denn zurück?“ fragte ſie laut.
„Wahrſcheinlich ſchon morgen. “
„Da ſteht Trina an der Thür. und macht Iznen
allerlei Zeichen, wahrſcheinlich wünſcht ſie eiwas von
Iynen“, jagte der Paſtor gleich darauf zu Elsbeth.

Sie erhob ſich vom Klavter und ging an die Thür,

wo ihr Trina winkte hinauszukommen. Mit einer ge-
wiſſen Beſtürzung in ihrem alten, ehrlichen Geſicht
ſagte fie:
„Es iſt ein Mann da, der den Herrn Declor ſpre-
chen will, und weil der nicht da iſt, die Frau Doktor.
Was ſoll ich ihm ſagen?“
„Was für ein Menſch iſt es denn?“
Ein ganz kurioſer Geſelle, mit ſtruppigem Haar
und Bart; ſo 'ne Art von Seemann, wean er nicht
noch was Schlimmeres iſt. Einſtweilen habe ich ihn
in's Sprechzimmer geführt, da gibt es jedenfalls nicht
viel drin zu holen *

„Haben Sie ihm nicht geſagt, daß mein Mann ſpä-

teſtens morgen oder übermorgen zurückko amt?“
„Ja gewiß, aber er meint, er köante mit Ihnen
ebenſo gut reden. Sie möchten es nicht übel nehmen,
er würde Sie nur einen Augenblick aufhalten.“

„Ich kann mich gar
nicht ſatt an ihr ſehen. Sie iſt ein zu liebliches Ge-

Es

„Dann warten Sie auf dem Vorplotz, während ich-
Hir Iſt Licht im Zimmer? Gut, ich komme
gleich. ö
Sie ging zu ihren Gäſten, um ſich für ein paar
Augenblicke zu entſchuldigen, und trat dann in's Sprech-
zimmer. ͤ
5.
Bei dem maiten Scheine der düſter brennenden
Kerze ſah Elsbeth einen baumſtarken, breitſchulterigen
Mann mit dichtem Bart und verworrenem Haar im
Lehnſtuhl ihres Mannes ausgeſtreckt. Als er ſich bei
ihrem Eintritt raſch erhob, blickte ſie in ſein rothes,
ſonnenverbranntes Geſicht, das, im Verein mit der un-
angenehmen Tabaksa moſphäre, die ihn umgab und mit
ſeinen rothen, ſchwieligen Händen nicht geeignet war,
ihre prinliche Empfi udung zu vermindern. Er ſchien
nicht wenig überraſcht von ihrer reizenden, feſtlich ge-
ſchmückten Erſcheinung zu ſein, denn er verbeugte fich
mit einer Höflichktit, wie ſie Elsbeth dieſem rauhen
Geſellen nicht zu getrout hätte, dann ſagte er:
„Verzeihen Sie, daß ich zu ſo umpaſſender Zeit
ſtöre. Zu meinem Bedauern triffe ich Herrn Doctor-
Dörnburg nicht zu Hauſe.“
„Nein“, ſagte Elsbetb, vor ihm ſtehen bleibend, um
ihn nicht zum Sitzen nöthigen zu müſſen, da ihr etwas
unbehaglich in ſeiner Geſellſchaft war. „Leider iſt er
abweſend, doch erwarte ich ihn morgen, oder ſpäteſtens
übermorgen zurück. Kann ich ihm irgend eire Beſtel-
lung ausrichten?“
„Ich hoffe, daß ich eben ſo gut von Ihnen, wie
von Ihrem Herrn Gemahl Auskunft erhalten kann; ich
möchte nämlich gern die Adreſſe des Herrn Kapitän
Steinach wiſſen.“ ö ö
Entſetzt fuhr Elsbeth zurück. Ihr erſter Gedanke
war, daß dieſer Menſch aus ihr unbekannten Gründen-
ſlinen grauſamen Spott mit ihr treiben wolle; dann
ſiel ihr aber ein, daß er vielleicht ein alter Freund ihres-
verſtorbenen Mannes ſein könne, der keine Ahnung da-
von habe, daß Walter Steinachs Wittwe jetzt Doͤrn-
burgs Gattin ſei. Ein plötzliches Schamg fühl ergriff-
ſie, als habe ſie ein Unrecht vor ihm zu verbergen; ihr
einziger Wunſch war, die ſen Mann ſo raſch wie mög-
lich wieder zu entfernen. Mit äußerſter Anſtrengung;
entgegnete ſie daher in gefaßtem Tone
 
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