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wahres Tugendmodell und Mufſterbild, der nur den ein-
zigen Fehler hatte, daß er zu wenig draufgehen ließ vnd
zu eingezogen lebte.
Den ganzen Tag war der fleißige Ingenieur auf dem
Barp'etz mit der Brauſſichtigung und Anleitung ſeiner
Arbeiter beſchöftigt und des Abends ſaß er auf ſeinem
kleinen Zimmer und ſtudirte oder zeichgete an ſeinen Riſ-
ſen und Plänen. Er hatte ſo gut wie gar keine Bedürf-
niſſe und war mit Allem zufrieden, was man ihm vor-
ſetzte. Stine Rechnungen bezahlte er pünktlich em erſten
j des Monats, ſobald er ſein Gehalt empfing, und blieb
nie einen Pfennig ſchulzig. Obgleich er nur ſelten, faſt
nie an den Gelagen ſeiner Kollegen Theil nabm, ſo hat-
ten ſie doch Reſpekt vor ihm und die größte Achturg für
ſeinen Charalter und ſeine gediegenen Kenntniſſe. Er be-
ſaß zwar keinen intimen Freund, aber Abe hatten ihn
gern, weil er ſtets gefällig und hochſt verträglich war.
Für das weibliche Geſchlecht ſchien er ſich wenig oder
gar nicht zu intereſfiren; was um ſo mehr auffallen mußte,
da Brandt mit einer eleganten Figur, und einm männ-
lich ſchöuen Geſicht ein feines, liebene würdiges Weſen und
eine herzgewinnende Freunplichkeit verband. An Verſuch-
ungen mochte es ihm nicht fehlen, und es gab wohl leicht
kein Mädchen in Schönfeld, des den ſtattlichen Ingenieur
zurückgewieſen haben würde, wenn er ſich ernſtlich um
ihre Gunſt beworben hätte. Sein Herz jedoch blieb un-
empfindlich für alle Reize Verlockungen der ländlichen
Sirenen, au deuen er kalt und ernſt vorüberging, ohne
ihre verliebten Blicke und iyr herausforderndes Lächeln
zu beachten. ö ö
Wie ſeine Kammeraden behaupteten, wenn ſie unter
ſich waren, beſaß Brandt vur eine einzi ze Leidenſchaft
die in vollkommen beh rrſchte — den brennendſten Ehr-
geiz, nur inen Wunſch, ſo ſchnell als möglich, eine glän-
zende Karriere zu machen und bald reich zu werden.
So verſchloſſen er auch war und ſo zurückhaltend er über
ſeine Verhältniſſen, über ſeine Vergangenheit und ſeine
Pläne für die Zukunft ſprach, ſo ging doch ſelbſt aus ſeinen
vorſichtigen Mittheilungen hervor, daß er einſt beſſere Tage
geſehen und im Ueber fluß gelebt; auch wollte man wiſſen,
daß ſein Vater durch ungluck iche Spekulationen das ganze
bedeutende Vermögen verloren und die Seinigen in der
größten Noth zurückgelaſſen habe. Dies ſollte auch der
Grund ſein, weßhalb Brandt die militäriſche Laufbahn
aufgegeben und das Baufach gezwungen ergriffen, um
ſein Daſein zu friſten.
Durch ehernen Fleiß und ſtrenge Gewiſſenhaftigkeit
war es ihm in ſeiner neuen Stell ung gelungen, ſich die
Zufriedenheit ſeiner Vorgeſetzten in ſo hohem Grade zu
erwerben, daß ihm der ſchwurige Bau des Tunnels an-
vertraut wurde, womit eine zwar kleine, aber für ihn
ſchon bedeurende Gehaltszulage verbunden war. In der
That ſchien das launiſche Glück dem armen jungen Mann
nach mancher ſchweren Prüfung wieder zu lächeln und
ihn für die ausgeſtandenen Leiden entſck ädigen zu wollen.
Eines Tages, als Brandt von ſeirem Bauplatz in
der Dämmerung ermüdet nach ſeiner Wohnung zurück-
kehrte, kam ihm Vater Wegener mit einem Brief entge-
gen, den der Poſtbote in ſeiner Abweſenheit abgegeben
hatte. Er erkanute ſogleich an dem amtlichen Siegel,
daß das Schreiben von dem Directorium der neuen Ei-
ſeubabn herrührte, weßhalb er um ſo begieriger war,
den Juhelt deſſelben zu erfahren. Je läuger er aber
las, defio mehr wuchs ſeine Aufregung, welche um ſo
ſchärfer mit ſeiner ſo aſtigen Ruhe und Selbſtbeherrſchung
contraſtirte. Das Papier zitterte förmlich in ſeinen
Händen, ſeine Augen glänzten und eine flammende Roͤthe
färbte das ſonſt bleiche und ernſte Geſicht des jungen
Ingenieurs. ö
In der That war die ſoeben erhaltene Mittheilung
garz dazu angethan, um ihn auf das Angenehmſte zu
überraſchen, da ſeine kühnſten Heffnungen dadurch noch
übertroffeu, ſeine glühendſten Wüaſche erfüllt wurden.
Wie das Direktorium ihm anzeigte, ſollte Brandt die
durch den plötzlichen Tod des bisherigen Beamten er-
ledigte Stelle eines Ober⸗Ingenieurs der Eiſenbahn in-
terimiſtiſch überrehmen und ſich ſofort nach der Reſiderz
begeben, um ſeinen neuen, höchſt einträglichen Poſten an-
zutreten, da die dringenden Arbeiten keinen Aufſchub ge-
ſtatteten. ö
Trotz dieſes unerwarteten Glücks ſchien aber ſeine
Freude darüber k.inee wegs ganz ungetrübt zu ſein. Nach-
dem der erſte Rauſch geſchwunden, verſank er in ein tirfes,
faſt ſchmerzliches Nachdenken, aus dem er nur durch die
Stimme des neugierigen Wirthes geriſſen wurde, welchem
ſeine Anfregung nicht eptgangen war. —
„Mein Gott!“ fragte dieſer beſorgt. „Sie haben
doch keine unangenehme Nachricht erhallen, mein licber
Herr Brandt!“
„Im Gegentheil“, verſetzte er, nachdem er ſich müh-
ſam gefaßt hatte.“ Wie ich ſoeven erfahren, hat mich
das Direktorium der Eiſendahn zum interimiſtiſchen
Ober⸗Jaͤgenieur ernannt. ö
„Da gratulme ich Ihnen von ganzem Herzen. Ich
hab' es ja immer geſagt, daß Sie es noch einmal zu
etwas Großem bringen werden. Wie mich das freut!
Oas will ich doch gleich meiner Alten und der Roſa
melden; die werden einmal Augen machen!“
(Fortſetzung folgt.)
Qui pro quo.
Von Dr. C. Grübler.
(Fortſetzung.)
Siehſt Du das Haus?“ rief er mir leiſe zu und zeigte
mit der Hand auf einen reizenden Garten⸗Palaſt, vor
welchem zwei Lakaien in reicher Livree iner jungen Dame
aus einmm Wagen halfen, der mit einem vornehmen Wap-
pen geſchmückt war. Ein dritter Diener ſprang hinan,
ſeine Herrin anzumelden.
„Siehſt Du das Haus?“ wiederholte Mar. ö
„Ob ich es ſeht“ Gewiß!“ antwortete ich, „aber
wahres Tugendmodell und Mufſterbild, der nur den ein-
zigen Fehler hatte, daß er zu wenig draufgehen ließ vnd
zu eingezogen lebte.
Den ganzen Tag war der fleißige Ingenieur auf dem
Barp'etz mit der Brauſſichtigung und Anleitung ſeiner
Arbeiter beſchöftigt und des Abends ſaß er auf ſeinem
kleinen Zimmer und ſtudirte oder zeichgete an ſeinen Riſ-
ſen und Plänen. Er hatte ſo gut wie gar keine Bedürf-
niſſe und war mit Allem zufrieden, was man ihm vor-
ſetzte. Stine Rechnungen bezahlte er pünktlich em erſten
j des Monats, ſobald er ſein Gehalt empfing, und blieb
nie einen Pfennig ſchulzig. Obgleich er nur ſelten, faſt
nie an den Gelagen ſeiner Kollegen Theil nabm, ſo hat-
ten ſie doch Reſpekt vor ihm und die größte Achturg für
ſeinen Charalter und ſeine gediegenen Kenntniſſe. Er be-
ſaß zwar keinen intimen Freund, aber Abe hatten ihn
gern, weil er ſtets gefällig und hochſt verträglich war.
Für das weibliche Geſchlecht ſchien er ſich wenig oder
gar nicht zu intereſfiren; was um ſo mehr auffallen mußte,
da Brandt mit einer eleganten Figur, und einm männ-
lich ſchöuen Geſicht ein feines, liebene würdiges Weſen und
eine herzgewinnende Freunplichkeit verband. An Verſuch-
ungen mochte es ihm nicht fehlen, und es gab wohl leicht
kein Mädchen in Schönfeld, des den ſtattlichen Ingenieur
zurückgewieſen haben würde, wenn er ſich ernſtlich um
ihre Gunſt beworben hätte. Sein Herz jedoch blieb un-
empfindlich für alle Reize Verlockungen der ländlichen
Sirenen, au deuen er kalt und ernſt vorüberging, ohne
ihre verliebten Blicke und iyr herausforderndes Lächeln
zu beachten. ö ö
Wie ſeine Kammeraden behaupteten, wenn ſie unter
ſich waren, beſaß Brandt vur eine einzi ze Leidenſchaft
die in vollkommen beh rrſchte — den brennendſten Ehr-
geiz, nur inen Wunſch, ſo ſchnell als möglich, eine glän-
zende Karriere zu machen und bald reich zu werden.
So verſchloſſen er auch war und ſo zurückhaltend er über
ſeine Verhältniſſen, über ſeine Vergangenheit und ſeine
Pläne für die Zukunft ſprach, ſo ging doch ſelbſt aus ſeinen
vorſichtigen Mittheilungen hervor, daß er einſt beſſere Tage
geſehen und im Ueber fluß gelebt; auch wollte man wiſſen,
daß ſein Vater durch ungluck iche Spekulationen das ganze
bedeutende Vermögen verloren und die Seinigen in der
größten Noth zurückgelaſſen habe. Dies ſollte auch der
Grund ſein, weßhalb Brandt die militäriſche Laufbahn
aufgegeben und das Baufach gezwungen ergriffen, um
ſein Daſein zu friſten.
Durch ehernen Fleiß und ſtrenge Gewiſſenhaftigkeit
war es ihm in ſeiner neuen Stell ung gelungen, ſich die
Zufriedenheit ſeiner Vorgeſetzten in ſo hohem Grade zu
erwerben, daß ihm der ſchwurige Bau des Tunnels an-
vertraut wurde, womit eine zwar kleine, aber für ihn
ſchon bedeurende Gehaltszulage verbunden war. In der
That ſchien das launiſche Glück dem armen jungen Mann
nach mancher ſchweren Prüfung wieder zu lächeln und
ihn für die ausgeſtandenen Leiden entſck ädigen zu wollen.
Eines Tages, als Brandt von ſeirem Bauplatz in
der Dämmerung ermüdet nach ſeiner Wohnung zurück-
kehrte, kam ihm Vater Wegener mit einem Brief entge-
gen, den der Poſtbote in ſeiner Abweſenheit abgegeben
hatte. Er erkanute ſogleich an dem amtlichen Siegel,
daß das Schreiben von dem Directorium der neuen Ei-
ſeubabn herrührte, weßhalb er um ſo begieriger war,
den Juhelt deſſelben zu erfahren. Je läuger er aber
las, defio mehr wuchs ſeine Aufregung, welche um ſo
ſchärfer mit ſeiner ſo aſtigen Ruhe und Selbſtbeherrſchung
contraſtirte. Das Papier zitterte förmlich in ſeinen
Händen, ſeine Augen glänzten und eine flammende Roͤthe
färbte das ſonſt bleiche und ernſte Geſicht des jungen
Ingenieurs. ö
In der That war die ſoeben erhaltene Mittheilung
garz dazu angethan, um ihn auf das Angenehmſte zu
überraſchen, da ſeine kühnſten Heffnungen dadurch noch
übertroffeu, ſeine glühendſten Wüaſche erfüllt wurden.
Wie das Direktorium ihm anzeigte, ſollte Brandt die
durch den plötzlichen Tod des bisherigen Beamten er-
ledigte Stelle eines Ober⸗Ingenieurs der Eiſenbahn in-
terimiſtiſch überrehmen und ſich ſofort nach der Reſiderz
begeben, um ſeinen neuen, höchſt einträglichen Poſten an-
zutreten, da die dringenden Arbeiten keinen Aufſchub ge-
ſtatteten. ö
Trotz dieſes unerwarteten Glücks ſchien aber ſeine
Freude darüber k.inee wegs ganz ungetrübt zu ſein. Nach-
dem der erſte Rauſch geſchwunden, verſank er in ein tirfes,
faſt ſchmerzliches Nachdenken, aus dem er nur durch die
Stimme des neugierigen Wirthes geriſſen wurde, welchem
ſeine Anfregung nicht eptgangen war. —
„Mein Gott!“ fragte dieſer beſorgt. „Sie haben
doch keine unangenehme Nachricht erhallen, mein licber
Herr Brandt!“
„Im Gegentheil“, verſetzte er, nachdem er ſich müh-
ſam gefaßt hatte.“ Wie ich ſoeven erfahren, hat mich
das Direktorium der Eiſendahn zum interimiſtiſchen
Ober⸗Jaͤgenieur ernannt. ö
„Da gratulme ich Ihnen von ganzem Herzen. Ich
hab' es ja immer geſagt, daß Sie es noch einmal zu
etwas Großem bringen werden. Wie mich das freut!
Oas will ich doch gleich meiner Alten und der Roſa
melden; die werden einmal Augen machen!“
(Fortſetzung folgt.)
Qui pro quo.
Von Dr. C. Grübler.
(Fortſetzung.)
Siehſt Du das Haus?“ rief er mir leiſe zu und zeigte
mit der Hand auf einen reizenden Garten⸗Palaſt, vor
welchem zwei Lakaien in reicher Livree iner jungen Dame
aus einmm Wagen halfen, der mit einem vornehmen Wap-
pen geſchmückt war. Ein dritter Diener ſprang hinan,
ſeine Herrin anzumelden.
„Siehſt Du das Haus?“ wiederholte Mar. ö
„Ob ich es ſeht“ Gewiß!“ antwortete ich, „aber