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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 10.1912

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Heft 4
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Scheffler, Karl: Notizen über die 23. Ausstellung der Berliner Sezession
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https://doi.org/10.11588/diglit.4707#0203

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das geschehen ist, wird nicht genügend klar.
Es findet sich freilich eine Reihe schöner Blät-
ter; daneben aber auch viel Leeres. Spitzwegs
Zeichnungen, die wie Schulvorlagen alten Stils
anmuten, waren ganz entbehrlich, Louis Eysen
ist deplaziert, Rethel, Schwind und Schadow
sind recht schwach vertreten. Und Feuerbach?
Er fordert ein Wort für sich. Schöne Einzel-
arbeiten findet man von J. A. Koch, Carstens,
J. Schnorr von Carolsfeld und Overbeck. Die
aber zu zeigen ist ja nicht eben Aufgabe der
Berliner Sezession. —

Sodann giebt es eine Kollektivausstellung
Ludwigs von Hofmann. Auch das war nicht
unbedingt nötig. Denn Hofmann ist längst
nicht mehr ein Pfadfinder; er ist immer noch
ein Künstler voller Adel, doch ist bei ihm an
Stelle des lebendigen Talents längst schon eine
von Erinnerungen lebende Konvention ge-
treten.

Auch Baluscheks Folge von Eisenbahn-
zeichnungen ist zu umfingreich. Ja, wenn es
das grosse Epos der Arbeit geworden wäre,
das dem Künstler vorschwebte! Es ist aber
nur eine talentvolle Illustrationenfolge, voll
realistisch pathetischer Einförmigkeit.

Fremde endlich wie Pennel und Muirhead
Bone haben auf einen Ehrenplatz in der Berliner Se-
zession wenig Anspruch. Es sind zwei rechte Eng-
länder. Das heisst: solide und ungenial; Künstler
aus zweiter und dritter Hand.

Ein gemaltes Gartenzimmer von E. R. Weiss
ist als Akzent recht interessant. In diesem Versuch,
die Wandmalerei zu beleben, sind die Instinkte

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MAX BECKMANN, LITHOGRAPHIE ZUM NEUEN TESTAMENT

vieler junger Maler, die zwischen Cezanne und
Biedermeier einen immer etwas komischen Aus-
gleich suchen, mit geistvoller Kunstgewerblichkeit
zusammengefasst. —

Der tiefere Wert dieser Ausstellung liegt wie
man sieht nicht in der Gruppenbildung; er liegt in
den Einzelarbeiten.

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Feuerbach also. Eine Reihe noch nie gezeig-
ter - aber schon reproduzierter Blätter aus dem
Bayerischen Staatsbesitz zwingt zur Revision des
Feuerbachurteils. Diese anspruchsvollen Monumen-
talzeichnungen sind in Wahrheit ziemlich leer.
Sie sind, bei einer scheinbar grossen Kraftent-
faltung, ohne rechtes Mark. Sie sind ungefähr im
Sinne Prellers oder Otto Greiners empfunden.
Rethels beste Studien sind viel lebendiger. Bei
diesem sind in jedem Strich Leben, Empfindung
und Talent; bei Feuerbach aber ist eigentlich nur

Kunstgesinnung. Feuerbach war ein bedeutender
Künstler dem Herzen, dem Willen nach, aber kein
ursprünglicher Gestalter. Sein Ideal betonte zu
sehr das Reinliche in der Grösse. Man darf sich
nicht verwirren lassen, weil hier Amazonen, Tri-
tonen, Iphigenien und Aphroditen gezeichnet sind.
Das, worauf es einzig ankommt, muss in der Zeich-
nung nach einem Proletarier so gut sein wie in
der eines Tritonen, in einer Bäuerin ebenso wie in
Iphigenie. Siehe Millet und Daumier; siehe auch
Michelangelo, in dessen Sibyllen und Propheten

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