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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 10.1912

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Heft 9
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Eulenberg, Herbert: Holbein: ein Bild von ihm
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https://doi.org/10.11588/diglit.4707#0446

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geschleift und hat ihn die Nacht darauf nebst zehn
Herren und Damen vom Hofe, die auch verstorben
waren, in einer grossen Grube uff dem Friedhof
bey der Westminster Kirche bestattet. Und sind
alle, wie's kam, durch einander gelegt worden,
Männlein und Weiblein, und man hat Kalk hinzu-
geschüttet umb der ansteckenden Krankheit willen,
an der sie verendet seyn. Und Gott geb ihnen allen
die ewige Seligkeit!

Solches und nit anders mehr hab' ich von dem
Ableben unsers hochlöblichen Meisters in Er-
fahrung bringen können. Und hat mir keiner die
Statt' mehr weisen mögen, wo itzt seine Gebeine
ruhen. Denn in solchen grässlich beschwereten
Tagen, wo das Sterbeglücklein auf der Sankt
Margaretskirchen bei Westminster gleich einer
sündigen Seelen kein Ruh finden kann, achtet man
der Toten nicht sonderlich. Es sind ihrer zu vile
an jedem Abend.

Ich selbst, Georg Gisze, der Kaufmann, hab'
den verehrlichen Meister Holbein auf das erste
Mal bey dem hochseligen Lordkanzler Thomas
More kennen gelernt, eynem gar frommen und ge-
lehrten mächtigen Herren. Dieweyl dieser ehrsame
Mann aber nit hat lassen wollen vom Bapst und
der römischen Kirch, hat ihn unser allmächtiger
König aufs Schaffbtt geschickt. Und hat seinen
Kopf für seinen Glauben lossen. Im Landhause
dieses Herren an der Themse ober der Stadt bin
ich Holbein begegnet. Er war grad von Basel
kommen und hat ein Schreiben von Erasmo
Roderadamo, dem ungemein gelahrten und vil ge-
nannten Weisen, den er oftmals conterfeyt hat, an
Herrn Thomas More. Und unser Meister ward
daraufhin wohl empfangen und ist alldort über
zvveen Jahren mit allerlei Ausmalungen und emble-
matis beschäftigt und unterhalten worden. Hat
auch ein gross Familiengemäl von seinem Gönner,
dem Lordkanzler, nebst seinen Söhnen und Töchtern
verfertigt und ein Zeichnung davon hernachen mit
nach Deutschland genommen, um sie Erasmo von
Rotterdam zu weisen. Der aber was davon
„summo gaudio completus", wie mir der Meister
darnach voll Wohlbehagen erzählt hat, weyl ihm
an dem Urtel eines solch unmässig berühmten
Mannes vil gelegen was.

Ich pflegte aber in der Zeit dem seligen Lord-
kanzler More, dem gottesf ürchtigen und frummen
Herren, bei seinen Handelsgeschäften beizustehen.
Und Meister Holbein fand sein Gefallen an mir,
dieweyl ich ihm, der des Landes und seyner

Bräuche noch ganz und gar unkundig war, mit
manchem Rath zur Hand ging, ihm die Sprache
und die Münze wies und mich ihm auf eyn kurtze
Zeit als Landsmann fast förderlich und nutzlich
machte. Er lernte hernachen freylich sehr schnell
sich in britisches Leben und Gebrauch zu gewöhnen,
davon ich mancherlei Beispiel erfuhr. So geschah
es einstens umb die Zeit, do er es unternommen
hatte, um mir seynen dankfölligen Willen zu er-
zeigen, mich selbst um ein gering Entgelt von
hundert Florins aufzumalen, dass der König Selbsten
in die Werkstatt Holbeins trat, wie ich grad mit
ihm Verhandlung wegen der Leinwand pflog. Itzt,
als der König vernahm, wo wir eynander Freund
geworden waren, fing er an, Meister Hansen zu
fragen: „Holbein, Ihr standet wohl gar gut mit
diesem Schuften Thomas More, diesem falschen
Römling und Pfaffenknecht.''' Worauf der ihm
mit tiefen Neigen zum Bescheid gab: „Nur für
die Zeyt, durchlauchtigster Fürst und Herr, do ich
noch nit meinen allergnädigsten König gehabt habe.
Item, es ist dem Morus wohl recht geschehen,
wenn mein grossmächtiger Herr es für gut be-
funden hat." Also verleugnete er wie Petrus unsern
Herren und Heiland seynen ehrbarn Freund und
Wohlthäter vor des Königs Majestät, die daraufhin
ihm auf die Schulter klopfte und mit einem
krummen und groben Blick auf mich den Meister
ansprach: „Hinfüro sollt Ihr mir nur mehr Köni-
ginnen und grosse Herren malen. Und mögt
morgen mit mir selber Anfang machen!"

Hernachen, do der König gangen was, hub
Holbein an, gleichsam damit er sich vor mir und
dem Verstorbenen entsühne, zu sagen: „Mich juckt
mein Hals noch nit nach einer Hanfkrause, daran
sie mich im Hof des Tower auf den Galgen zwerchen.
Ich kann keinen Toten mehr lebendig machen mit
meiner Freundschaft und Wahrhaftigkeit für ihn.
Deswegen will ich mich hüten, mir mein Maul zu
verbrennen. Und domit blies er sein dicke Nasen
auf und leckte sich über die Lippen zum Zeichen
des, dass ihm sein Leben über alles wohl gefiel.
Er war in disen Jahren ein stark untersetzter Mann
worden und umb vielen Sitzens willen oder vom
engelländischen Malzbier um den Leib uffge-
schwemmt. Zu mehreren Malen kam er späterhin,
do er in meiner Kammer oder meiner Faktorei
vorsprach, uff jene besagte Begebenheit zurück, als
ob ihn sein Gewissen gedrückt hätte. „Es ist ein
glatter Boden bei Hofe hierzulande, Gisze!" meint'
er dann wohl: „Und wer ein plumper teutzscher

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