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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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Berggruen, Oscar: Die Selleny-Ausstellung im Wiener Künstlerhause, [5]
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Die Selleny-Ausstellung im Wiener Künstlerhause.

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behandelt sind. Ein lebensvolles, bei aller Skizzenhaftig-
keit der Figuren sehr drastisches Genrebild bietet der
„Fischmarkt von Rio":- die Gesichter noch dunkler, die
Kleider noch grellsarbiger und zerlmnpter, das Dnrch-
einander noch nnentwirrbarer, als in Santa Lucia, dem
jetzt leider auch „regulirten" neapolitanischen Stapelplatz
der „krutti äi murö". Als Mnster einer charakteristischen,
in großem Stil gehaltenen Architekturausnahme sei nock
der „Largo do Paoo", ein Hauptplatz von Rio, ange-
führt; das auch koloristisch höchst bedeutende Aquarell
kann in keiner Beziehung überboten werden. Aus Chili
sind nur drei Aufnahmen vorhanden, darnnter aber die
der Hauptstadt Santiago, eines der großartigsten Städte-
bilder, das man sich denken kann. Trotz der Größe seiner
Dimensionen ist das Bild in sattem Kolorit vollständig
ausgeführt, und fesselt durch den in größter Vollendung
sestgehaltenen Charakter der landschaftlichen Umgebung,
namentlich der Formation des Höhenzuges, welcher die
Stadt malerisch umschließt.

Am Kap der guten Hofsnung, welches nns
nebst der Kapftadt in sehr interessanten Ausnahmen ge-
boten wird, haben den Künstler hauptsächlich die ver-
schiedeuen Menschentypen gesesselt; nicht blos die „Fi-
guren ans den Straßen der Kapstadt", die er uns in
ergötzlicher Mannigsaltigkeit vorführt, sondern auch die
zahlreichen Racen, die man dort beisammen findet. Sel-
leny hat es trcfflich verstanden, das Charakteristische
einer jeden Nace nach Form nnd Farbe darzustellen,
und das will nicht wenig besagen, da schon zum bloßen
Erfassen des Gssichtsausdruckes dunkelhäutiger Köpse
ein scharser und geübter Blick gehört. Wir erinnern
uns noch recht wohl, daß uns ansangs in der Muskih-
straße zu Kairo, der Hauptader des arabischen Stadttheils,
woselbst die verschiedensten Racen von der bleichen, flachs-
blonden schottischen Miß, deren heimatliche Cottage in
die Wellen des von Walter Scott besungenen Loch Lo-
mond blickt, bis zu dem in Haut und Haar pechschwarz
pigmentirten Neger, welcher an den noch unerforschten
Ufern der Nyanza-Seen vom Sklavenhändler geraubt
ward, in lebhaftestem Gewoge einander drängen, alle
dnnklen Gesichter physiognomisch kaum unterscheidbar
waren, bis wir dnrch Vergleichen umd Ueben dahin ge-
langten, nach dem typischen Gesichtsausdruck Stamm
und Heimat der verschiedenfarbigen Kinder Asrika's auf
den ersten Blick sast ebenso sicher zu bestimmen wie
diese selbst unter einander. Von dem bloßen Erkennen
bis zur prägnanten, jeden Zweifel ausschließenden Dar-
stellung ist aber ein weiter Weg, und um so mehr müssen
wir die Meisterschaft bewundern, mit welcher Selleny
es rasch dahin brachte, Kasfern beiderlei Geschlechts,
Buschmänner und Hottentottinnen mit unübertresflicher
physiognomischer Feinheit in miniaturartiger Sauberkeit
und Eleganz auf's Papier zn werfen.

Auch in „Ceylon und Madras" begegnen wir
einer ganzen Reihe von Charakterfiguren und Racen-
bildern: Singhaleser, Hindus, indische Moslim, Baja-
deren, Schlangenbeschwörer, Jongleure, Buddhisten,
Märchenerzähler, Kaufleute, Konaks mit ihren Ele-
phanten, und darunter manch' komischer Verballhornung
morgenländischer Gestalten in abendländische Tracht.
Niemand kann sich des Lächelns erwehren, der da in
Madras den schwarzen Herrn Sinower „tste dntckkrmuu"
mit einem englisch zugestutzten Bart und Batermörder
ausstaffirt sieht, als wäre er ein anglikanischer Reverend,
oder einen braunen Barbier in Point de Galle mit dem
wohlgepflegten Haare und Barte eines altfranzösischen
Marquis. Höchst interessant sind Frauengestalten aus
der Mudschi-Kaste und überaus reizend einige gluth-
äugige Bajaderen mit dem kleinen Kopfe der Medicäischen
Venus und dem zart schwellenden, jugendlich schlanken
Gliederbau des Torso der Psyche im Nusso imRonalk
zu Neapel. Unter den architektonischen Aufnahmen fesseln
zunächst die zahlreichen Skizzen und Studien aus den
Felsentempeln zu Mahamalaipur, von denen schon
mehrfach die Rede war; Selleny hat hier noch mehr
gearbeitet als aus Sankt Paul und wissenschaftlich Be-
deutsames geleistet, da die Tuschzeichnung „Monolith
und Felsenmeer aus Gneis in Mahamalaipur" ebenso
belehrend ist wie dieungemein charakteristische Darstellung
aus einem Tempel: „Gott Wischnu, ruhend auf der
Schlange Ananta."

Aus Madras sei ein reizendes Straßenbild erwähnt:
links prätentiöse englische Regierungsgebäude mit kor-
rekt-langweiligen ionischen Kolonnaden, rechts luftige.
indische Bauten und ein phanlastischer Buvdha-Tempel,
an dessen schlanken Säulen königlich großbritannische —
Telegraphenglocken befestigt sind.

Den Inseln Sankt Paul und Amsterdam,
dann den Nikobarischen Inseln hat Selleny eben-
falls große Ausmerksamkeit gewidmet. Von den beiden
ersteren Inseln war schon ausführlich die Rede, und
wir erwähnen nur noch das mit sarbigen Stiften sehr
hübsch ausgeführte, bizarre Jnterieur der Hütte eines
sranzösischen Robinson, welchen die Expedition auf Sankt
Paul einsam hausend antras. Wie dies fast immer der
Fall, überbietet die Wirklichkeit jedes Phantasieprodnkt,
unv wir kennen keine kühne Illustration zu De Foö's
kinderberühmtem Buche, welche von der Hütte Robinson
Crusoö's ein so phantastisches Bild geben würde, wie
hier das photographisch getrene Abbild der „Hütte auf
Sankt Paul". Aus den Nikobaren hat der Künstler
größtentheils Vegetationsstudien gemacht, unter denen
eine prachtvoll kolorirte Gruppe von Carnikobar-Palmen
hervortritt; überdies haben ihm anch Einwohner von Groß-
Nikobar, deren Namen den Porträts beigefügt sind,
 
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