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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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Rosenberg, Adolf: Die Berliner Nationalgalerie, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5789#0221

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Die Berliner Nationalgalerie.

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plastischen Schmuck des Aeußeren ist der Bildhauer M-
Schulz maßgebend gewesen. Wenn man ans Grund
seiner Arbeiten an der Nationalgalerie nach einem Vor-
wande sucht, welcher ihm zu so hervorragenden Aufgaben
! wenigstens den Schein der Berechtigung verleiht, so wird
man sich vergeblich bemühen. Von ihm rührt die Kom-
position der Giebelgruppe oder vielmehr des Giebelhaut-
reliefs her — die Figuren treten etwas weiter als bis
znr Hälfte aus dem Grunde heraus. Es stellt „Ger-
miania als Beschützerin der bildenden Künste" dar. Von
ihm rühren die beiden Gruppen am Beginn der Frei-
treppenwangen her: der Unterricht, welchen ein Maler
und ein Bildhauer einem Knaben in ihren Künsten er-
theilen. Sein Werk ist endlich das die Entwickelung
der deutschen Kunst in ihren Hauptvertretern darstellende
Relief in der Vorhalle. Während man von den in
Sandstein ausgeführten Treppensiguren angesichts ihrer
Unbedeutendheit schweigen muß, hat man um so mehr
von dem Relief zu sagen. >

Die Kunstgelehrten arbeiten Jahr aus Jahr ein
an der Bervollkommnung der Kunstgeschichte. Verdienst-
volle Monographien haben die Persönlichkeiten der her-
vorragendsten Künstler in das rechte Licht gerückt, zu-
sammenhängende Darstellungen der Kunstgeschichte haben
diese Einzelforschungen sür das Gesammtbild verwerthet.
Wenn sich auch die Kunstgelehrten hinsichtlich der Wir-
kungen ihrer Thätigkeit auf das Volk und selbst auf
das gebildete Publikum keinen Jllusionen hingeben, so
dürfen sie doch billig erwarten, daß wenigstens die
Künstler ihren Bestrebungen einige Aufmerksamkeit schen-
ken. Leider geschieht dies in so geringem Maße, daß
man ebenso gut sagen kann: es geschieht nicht. Wenn
nun ein Bildhauer wie Moritz Schulz sich an der
deutschen Kunstgeschichte in so srevelhafter Weise ver-
greift, wie er es in seinem Relies für die deutsche
Nationalgalerie gethan, so verdient das öffentlich die
schärsste Rüge. Die beharrliche Verachtung, welche der
größere Theil der ausübenden Künstler in Berlin den
Theoretikern widmet, hat hier ihre Früchte getragen.
Um zu zeigen, wie sich ein Moritz Schulz die Ent-
wickelungsgeschichte der deutschen Kunst denkt, sühre ich
die Namen der auf der einen Hälste des Reliefs dar-
gestellten Künstler von links nach rechts an. Dem Ori-
ginal sind nur die Namen beigefügt, die Jahreszahlen
setze ich zur Bequemlichkeit des Lesers hinzu: Karl der
Große thronend — Eginhard — Willigis -s 1011 —
Bernward von Hildesheim p 1020 — Erwin von
Steinbach p 1318 — Gerhard von Rile 4 ca. 1302
— Nicolaus Wurmser ca. 1360 — Theodor von Prag
ca. 1360 — Heinrich von Duderstadt ca. 1424 —
Wilhelm von Köln 4 ca. 1370 -— Stephan Lochner
4 1451 — Jakob der Deutsche — Adam Kraft
4 1507 — Sebald Schonhofer — Veit Stoß 4 1533

— Peter Vischer 4 1529 — Hans Brüggemann 4 ca.
1522 — Schongauer 4 1488 — Alexander Colin
4 1612 — Hans Holbein 4 1543 — Vivgilius Solis
4 1578 — Lucas Cranach 4 1553 — M. Wol-
gemut 4 1519 — Grünebaum (?!) — Burgkmair
4 1559 — Hans von Kulmbach 4 ca. 1522 — Al-
brecht Dürer. Dieses Tablean ist in seiner trockenen
Aufzählung zu beredt, um noch eines ausführlichen
Kommentars zu bedürfen. Der famose Grünebaum
ist in Folge meiner energischen Remonstrationen in einer
Berliner Zeitung in Grünewald korrigirt worden. Die
Spuren dieser Korrektur braudmarken die geradezu un-
erhörte Leichtsertigkeit, mit welcher der Künstler an sein
Werk gegangen ist, für alle Zeiten. Noch sei mir ge-
stattet, auf die unsinnige Zusammenstellung von Holbein
und Cranach mit dem verhältnißmäßig sehr unbedeu-
tenden Virgilius Solis hinzuweisen, der mit der Ent-
wickelungsgeschichte der deutschen Kunst bis Dürer nichts
zu thun hat und auch später aus sie keinen Einfluß
übte. Dasselbe gilt von dem Bildhauer Colin, der nicht
einmal ein Deutscher war. Hinter Erwin von Stein-
bach paradirt seine Tochter Sabina, an einem Engel
meißelnd. Dieses Märchen ist bereits seit fünsund-
zwanzig Iahren aus der Kunstgeschichte ausgemerzt, der
Meister M. Schulz schwärzt es wieder eim Heinrich
von Duderstadt ist der Name eines Mönches, welcher
aus einem in der Bibliothek zu Göttingen befindlichen
Bilde aus dem Jahre 1424 zu lesen ist. Der Mönch
selbst kniet am Fuße des Kreuzes, welches aus dem Bilde
dargestellt ist. Wenn wir nun auch annehmen wollen,
daß der knieende Mönch wirklich der Maler und nicht
etwa der Donator des Bildes ist, so müssen wir es doch
als eine Kühnheit bezeichnen, wenn Jemand diesen im
Uebrig'en ganz unbekannten Mönch unter die Hauptver-
treter der Entwickelung der deutschen Kunst versetzt.
Daß Sebald Schonhoser gar nicht existirt hat, sondern
die müßige Ersindung eines Kupserstechers aus dem 17.
Jahrhundert ist, hat Bergau bis zur Evidenz dargethan.

Der Reliesstreisen rechts von der Thür stellt die
Entwickelung der neueren deutschen Kunst dar und ent-
hält ahnliche Wunderlichkeiten. So erössnet z. B. Kanl-
bach den Reigen der deutschen Künstler. Aus ihn folgt
erst an zweiter Stelle Cornelius. Den Beschluß bilden
Sandrart, der Erzgießer Jacobi und Schlüter. Was
Sandrart mit der Entwickelung der neueren deutschen
Kunst zu schasfen hat, weiß ich nicht. Derselbe Sandrart
sigurirt übrigens auch auf den Namensschilden zwischen
den Säulenkapitälen der Ostseite. Vermuthlich haben
die dicken Folianten, welche Sandrart zusammen ge-
schrieben, den Baumeister zu dieser etwas befremdlichen
Huldignng bewogen. — Es wird behauptet, dem Autor
jener Reliefs hätte bei ihrer Komposition der Hemi-
cykle Delaroche's vorgeschwebt. Wenn dem so ist, so
 
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