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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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Abrest, Paul d': Der Salon von 1876, [1]
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Der Salon von 1876.

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zistische Thätigkeit mit der Eutdeckung und Verherrlichung
der neuen romantischen Schule im „Constitutionnel"
begonnen. Sein steter Luxus war die Anlegung von
reichhaltigen Sammlungen, die sein Wohnhaus zu einem
wirllichen Museum gestalten. Den Weg nach dem
„Salon" kennt Herr Thiers recht gut; er schlägt den-
selben alle Jahre ein, so oft es nöthig ist, um die aus-
gestellten Werke, die ihn besonders interessiren, eingehend
zu würdigen. Die achtzig Sommer, die auf seinen
kleinen nervigen Schultern lagern, geniren den Ex-
Präsidenten nicht im Geringsten. Er schreitet mit ge-
slügelten Füßen durch die Säle, setzt hie und da rasch
die Lorgnette an's Auge, welche ihm ein aus angemessene
Distanz solgender Diener reicht, und läßt mit einem
Btick den Eindruck errathen, den das eine oder das
andere Werk bei ihm hervorruft. Und auf den rothen
Divans, wo die Leute von den Mühsalen der Aus-
stellung ausrasten, wo die Toiletten gemustert werden,
zischelt man sich in's Ohr: „Voilü Nr. Tlliors, voilü
Nr. Tllior^."

Der erste Eindruck, den man im Gedanken an die
srüheren Salons seit 1871 zurückbehält, ist derjenige,
daß die friedliche Tendenz, die sich in den Handlungen
der politischen Behörde osfenbarte und der Gegenstand so
vieler pomphaften Zusagen geworden, auch in die Kunst
eingekehrt ist. Es ist heute nicht mehr Mode, viel von
der Revanche zu poltern, man ergeht sich im Parlamente
und in den Zeitungsblättern in süß slötenden Melodien,
und so ist es auch höchst Rococo geworden, Schlacht-
scenen durch den Pinsel zu verherrlichen. Noch vor
einem Jahre war die Kunst ganz und gar mobil. Wenn
man die AusstellungssLle betrat, blendete die Menge von
Wafsen aller Gattungen, von im Winde flatternden Fahnen,
gezückten Klingen das Auge, es roch in gewissen Ab-
theilungen förmlich nach Pulver, und an allen Ecken sah
man in allen Formaten von der haushohen Leinwand
bis zur Miniatur Balgereien von rothen Käppi's mit
Pickethauben — zur Abwechselung sochten die Franzosen
hie nnd da mit Chinesen oder Arabern -— aber Schlacht-
scenen waren es immer. Heute blühen die „Vudlounx
cko dutuills" mit wahrhast bewundernswerther Be-
scheidenheit wie Veilchen im Verborgenen. Der dekorirte
Kapitän oder Major a. D., der alljährlich den Salon
aufsucht, um sein Herz an der Wiederauflebung der
martialischen Auftritte zu erfreuen, die er selbst mitge-
fochten, muß beinahe mit der Loupe suchen, um das
Gewünschte zu finden.

Unter den Kunstgattungen des Friedens gedieh keine
zu einer solchen Reife, wie das Porträtfach. Die
Leistungen auf diesem Gebiete sind nnbestritten die vor-
züglichsten der sranzösischen Schule. Die Zahl der
Porträts ist eine endlose, und unter diesen, vielleicht
5—600, giebt es wenige, die nicht die Anfmerksamkeit

erzwingen und fesseln. Es handelt sich hier nicht so
sehr um die Aehnlichkeit; da nur die wenigsten Originale
bekannt sind, so wäre auch kein Urtheil darüber statthast.
Aber in der Positur, im Geschmack der Auffassung, im
Arrangement der Nebensachen bekunden die Porträtmaler
— und nicht nur die Meister des Faches, wie Bonnat
nnd Carolus Duran — eine immer wachsende, erstaun-
liche Tüchtigkeit. Das ist die Wirkung des Mäcenaten-
thums oder der Mode, welche das Sichmalenlassen förm-
lich zur Anstandspflicht machte. Allerdings giebt es die
Photographie, aber diese wird jetzt hier zu Lande schon als
das tägliche Brod betrachtet, als ein Minimum, dessen
sich jeder Mann bevienen kann, bei welchem aber nur
arme Schlucker stehen bleiben dürfen. Das sieht man
immer deutlicher, wenn man die Salons der verschiedenen
Jahrgänge mit einander vergleicht. Zuerst waren es
Marchesinnen, Comtessen, Bankierssrauen u. s. w., die
sich die kostspielige Genugthuung von Porträts in Oel
gönnten, bald folgten deren Gatten. Heute sieht man,
daß auch dieses Fach den demokratischen Gesetzen der
Neuzeit sich sügen muß. Wir finden unter den aus-
gestellten Porträts eine ganz ansehnliche Menge von
Bürgersköpfen, die sich noch vor ganz Kurzem mit einem
sauberen photographischen Abdruck begnügt hätten. Frei-
lich giebt es da Nüancen, und nicht jeder läßt sich gleich
on pisck bei Carolus Duran um 20,000 Francs aus-
nehmen; viele begnügen sich mit dem einsachen Medaillon,
Kopf und Büste bis auf das erste Knopfloch hinab,
wenn etwas hineingesteckt werden kann. Aber diese Me-
daillons sind meistens höchst bemerkenswerth durch das
gelungene Kolorit und den natürlichen Ausdruck der
Züge, die beiden hervorragenden Eigenschaften unserer
Porträtmaler. Zn diesem Fache ist ein l'erngesunder
Realismus an der Tagesordnung — jener Realismus,
der, statt die Wahrheit zu verzerren und zu karikiren,
statt sich gegen die Wahrheit aufzulehnen und eine andere
zu erfinden, derselben treu und redlich dient. Wie ver-
schieden sind doch diese Porträts von den seltsamen
Bildern, die wir vor einigen Tagen bei den Jntran-
sigenten gesehen haben! Das waren lauter Grimassen-
köpfe, in der Grimasse so zu sagen uniformirt. Den
meisten im diesjährigen „Salon" ausgestellten Porträts
liest man von der Stirn herab die Beschästigung,
welcher die Dargestellten mit aller Anspannnng geistiger
Krast nachhängen, die Stimmungen ihres Gemüths, die
Leivenschasten, welche in ihrem Jnnern kochen. All'
diese Eindrücke sind maßvoll wiedergegeben, wie es sich
für honnete Bilder ziemt, die bestimmt sind, im Wohn-
zimmer der Familie zu prangen und als Reliquien be-
wahrt zu werden. So subventionirt das Publikum aus
eigenen.Mitteln eine neue bürgerliche Schule, deren Lei-
stungen in jeder Hinsicht Berücksichtigung verdienen.

Das eminent französische Fach der Landschaft hat
 
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