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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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Abrest, Paul d': Der Salon von 1876, [1]
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Der Salon von 1876.

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auch diesmal eine würdige Vertretung, aber es fällt
uicht sofort in's Auge. Die Landschaften sind meistens
mittleren Umfangs und recht friedliche Jdyllen. Die
Stoffe wurden meistens in den französischen Provinzen
gewählt — mit Vorliebe auch die reizende Umgebung
von Paris, die seit dem Kriege immer mehr und mehr
ihre Schätze enthüllt und von allen Seiten künstlerische
Huldigungen empsängt. Doch müssen einige Ausnahmen
zu Gunsten belgischer und italienischer Ansichten statuirt
werden, worüber sich auch Niemand beklagt. Die glän-
zenden Gestirne am Himmel der Landschaft sind heuer
in vortheilhaster Weise vertreten. Wir werden Gelegen-
heit haben, auf ihre Leistungen zurückzukommen; ebenso
auf die Produktionen der Thiermalerei, die übrigens aus
den ersten Blick keine so markanten Erscheinungen auf-
zuweisen vermag, wie voriges Jahr.

Die sogenannte peintnrs" ist im heurigen

Salon so gut wie gar nicht vertreten, und, seltsam ge-
nug, keiner von den Kritikern, welche bisher über den
Salon berichteten, klagt darüber. Die guten Porträts,
die lieblichen Landschaften und die unverkennbaren
Fortschritte in der Technik gelten als ein vollständig
hinreichender Ersatz sür die sehlende Historie. Die
Gattung ist eigentlich nur durch zwei Bilder, welche auf
den ersten Blick srappiren, vertreten. Das eine, von
B. Constant, hängt gerave an der Stelle des grauen-
haften Becker'schen Bilbes vom vorigen Jahr und stellt
den Einzug Mohammed's VI. in Konstantinopel dar: eine
Jronie in dem Augenblicke, da die Türken vielleicht
nahe daran sind, ihr Bündel zur Auswanderung nach
Asien schnüren zu müssen. Das triumphirende Ober-
haupt der Gläubigen reitet durch die Pforte, die heute
noch den Namen Kanonenthor sührt, in das dem Halb-
mond unterthänige Byzanz. Die Hufen des Pferdes,
das von einem prachtvollen Negersklaven geführt wirv,
zertreten die modernden Knochen der verstümmelten Todten;
mit stolzem, fanatischem, unbarmherzigem Blicke schaut
der Sohn des Propheten von seinem Rosse (welches eine
gar seltsame Farbe hat) auf das angerichtete Unheil
herab, in seiner Rechten schwingt er vie grüne Fahne
Mahommed's. Das Bild ist gut gemalt, die historische
Gewissenhaftigkeit in der Darstellung der Wafsen, Ge-
wänder u. s. w. ist anerkennenswerth; versichert man
doch, daß ver Maler in den Museen die minutiösesten
Studien angestellt hat. Aber es fehlt dieser „gemalten
Seite", wie die Franzosen derartige Leistungen zu nennen
pflegen, jeve Genialität. Die andere Komposition auf
dem Gebiete der großen Malerei ist der Einzug Christi
in Jerusalem, genau nach den biblischen Angaben. Es
steckt in dieser Arbeit ein ungeheurer Fleiß; man begreist
kaum, wo Herr G. Dors die Zeit hernahm, um so
viele Menscken nebeneinander stehend und knieend dar-
zustellen, er, der alle Iahre ein großes Werk illustrirt.

Aber wenn der Zeichner Dors sich einen europäischen
Ruf erwarb und aus seinen Jllustrationen eine Gold-
mine machte, so ist das bei dem Maler Dore nicht der
Fall. Bekanntlich widmete sich Dors mit Vorliebe der
biblischen Malerei; er wollte anfangs auf diesem Ge-
biete eine neue Richtung einschlagen, namentlich mit
seiner Mondscheinbeleuchtung (Christliche Märtyrer im
Circus); davon hat er Abstand genommen. Der Ein-
zug Christi ist noch immer fahl in der Beleuchtung
und von seltsamem Kolorit, aber doch ziemlich natürlich.
Wie bei Benjamin Constant so auch hier — kein Funken
Genie, nichts, das unwiderstehlich anzöge unv sesselte.
Folgt man der wogenden Menge, so sieht man, daß
diese hier nicht stehen bleibt, sie verweilt am liebsten
bei den effektvollen Porträts der Schauspielerin Sarah
Bernhardt, des Herrn v. Girardin und bei einigen kleinen
humoristischen Taseln, die leider zu selten sind, gleichsam
als schäme man sich, in den Ateliers noch lustig zu sein,
und folge jenem Meister Griesgram, der da behauptet,
die französischen Künstler müßten Trauer anlegen. Da
sollte doch der durchgreifende Ersolg einiger solcher
Possenscenen in Oel, glaubt man, viel besser wirken und
diejenigen, welche dem Fache huldigen, zu kräftigerem
Auftreten anspornen! Die Schlachtenbilder, die,
wie erwähnt, nicht leicht zu entdecken sind, stellen durch-
weg kleinere Episoden aus dem letzten Kriege dar; nur
müssen die Maler dies Jahr ziemlich stark Vvn Atheis-
mus angesteckt worden sein, denn wo sind die zahllosen
Verherrlichungen der päpstlichen Zuaven, die Allegorien
mit den Bajonetten aus dem Erdboden und den in den
Wolken schwebenden Engeln u. s. w.? Die heutigen
Episoden sind sämmtlich ernste Erlebnisse, welche mit
dem Uebernatürlichen nichts zu thun haben. Schließen
wir nun noch an diese Uebersicht die Bemerkung, daß vie
Marinen nichts Besonderes, die Früchte- und Blu-
menstücke meistens zarte Frauenarbeiten sind, so kom-
men wir nach einemzweiftündigen Gang zu einer gewaltigen,
aber iu solchen Fällen obligaten Migräne und zu solgen-
dem Erkenntniß in schlichtem, leichtverständlichem Schul-
zeugnißstil:

Porträtmalerei ausgezeichnet

Landschaft gut

Genremalerei gut

Akademie gut

Historische Malerei ziemlich gut
Marine mittelmäßig

und für alle, die für diesen Salon gearbeitet haben, Fleiß
und Anstrengung: vorzüglich. Dieses letzte Urtheil macht
es unmöglich, über vieses oder jenes Fach mit dem ver-
hängnißvollen „Schlecht" den Stab zu brechen. Wir
werden uns nun bestreben, durch eine Reihe bemerkens-
werther Beispiele die oben angeführte summarische Klassi-
sikation zu rechtfertigen. Paul d'Abrest.
 
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