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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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Atkinson, Joseph Beavington: Die Ausstellung der Royal Academy in London
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https://doi.org/10.11588/diglit.5789#0341

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Die Ausstellung der Royal Academy in London.

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englischen Schulen ,,Originalitä1: denn wo sich Ur-
sprünglichkeit zeigt, ist sicher auch Unsterblichkeit, der Sast
steigt sortwährend, der Geist ist stets gegenwärtig." Der
Präsident Sir I. Grant machte die Anzeige, daß die
übliche Ausstellung von Gemälden alter Meister nächsten
^ Winter statthaben werde, ungeachtet der zunehmenden
Schwierigkeit, solche Werke leihweise zu erhalten.

Bei den Gemälden läßt sich die gewöhnliche Ein-
theilung nach Gegenstand und Stil sesthalten. Jm
Bereich der hohen Kunst fordert die lebensgroße Gestalt
der Phryne von Armitage znr Vergleichung mit dem
griechischen Künstler heraus. Von Apelles' berühmtem
Bilde „Venus Anadyomene" heißt es, daß er die Phryne
als Modell benutzt habe, und Praxiteles soll die knidische
Venus nach demselben Original gebildet haben. Armitage
nun hat sich nnzweiselhast dieser antiken Präcedenz-Fälle
erinnert. Phryne steht am Seeufer, zn ihren Füßen
liegen die Gewänver, sie scheint soeben von einer Er-
srischung in den blauen Wellen ausgetancht zu sein. Der
Stil erhebt sich über das alltägliche Maß; das Bild zeigt
Spuren vom Einstuß der Pariser Schule und ist der
Malweise Jngres' in „Im soui-oe" u. a. Werken zu ver-
gleichen. Von geringer Bedeutung ist ein nacktes Mäd-
chen „Nach dem Tanze" von Alma Tadema.

Von Poynter, dem Direktor der königl. Kunst-
schule in Kensington sehen wir „Atalanta's Wettlauf",
eine große nach antiken Bildwerken und Renaissance-
malereien fleißig und sorgfältig ausgeführte Komposition.
Der Künstler hat seinen Gegenstand in drei Partien
geordnet; links befindet sich eine Gruppe eisriger Zu-
schauer, die beste Figur daraus ist Michelangelo's Decke
in der Sistina entnommen. Die Mitte wird von einer
der edelsten Gestalten, die je aus einer englischen Akade-
mie hervorgegangen, von Meilanion, dem begünstigten
Liebhaber Atalanta's, eingenommen; in rascher lebens-
voller Bewegung sehen wir ihn im Begriff, als seinen
Preis im Wettlaus Atalanta zu gewinnen. Diese
ungemein plastische Gestalt ist angenscheinlich den Ath-
leten und Discuswersern antiker Darstellungen nachge-
bildet. Atalanta ist mehr im modern malerischen Sinn
gehalten.

Die romantische Classicität wird durch die höchst
merkwürdige Darstellung derDaphnephorie von Leighton
vertreten. Dieser jedes neunte Jahr zu Ehren Apollo's
gehaltene Triumphzug hat seinen Namen von den bei
diesem Feste getragenen Lorberzweigen. Die Kompo-
sition — überhaupt die größte, welche seit Langem
in England geschaffen worden — läßt sich in vier
oder mehrere Theile zerlegen. Geführt wird der
Zug von einem nach dem edelsten griechischen Typus
gemodelten Priester, daraus folgen die Knaben, als
Trophäe eine goldene Rüstnng tragend, hinter ihnen
ein anmuthiger Chor thebaischer lorberbekränzter und

Lorberzweige haltender Mädchen, die eine Hymne singen,
den Zug schließen Knaben, die Votivdreifüße mit sich
führen. Die von der Schwersälligkeit römischer Triumph-
züge so ausfallend abstechende freudige Erregung in der
geschilderten Scene ist eine Eigenart des griechischen
Volkes und seiner Kunst; die Schönheit zeigt sich ruhig
und heiter, von keiner Wolke getrübt, von keiner hef-
tigen Aktion beeinträchtigt. Die Figuren passen voll-
ständig zu der Ansicht der Alten, daß in gemessener
würdevoller Bewegung Seelengröße sich kundgebe. Leigh-
ton, der vor 20 Jahren seinen Ruhm durch die „kro-
6688ion ok' Oiiuuduk" begründet hat, erfreut sich des
Vortheils einer ausländischen Kunstbildung. Er war
in Frankfurt Steinle's Schüler und hat später in Rom
unv Paris seine Studien vollendet. Seine vielen Vor-
züge stempeln ihn zu dem geeignetsten Kandidaten für
den Präsidentenstuhl der Akademie, falls dieser erledigt
werden sollte.

Eigentlich historische Werke finden sich nur wenige
und unbedeutende; englische Künstler pslegen selten
über das historische Genre hinauszugehen. Auch bemerkt
man weniger als sonst Jllustrationen zu Shakespeare's
Werken, doch ist unter diesen eine berühmte Kom-
position: „König Lear, Cordelia enterbend", von Herbert
mcht unerwähnt zu lassen. Es ist eine Reproduktion
des vor ungesähr 25 Jahren im Parlamentsgebäude
ausgeführten Frescobildes, welches dem freilich erfolg-
losen Bemühen des Prinzen Albert, die in Deutsch-
land wieder zu Ansehen gelangte Frescomalerei auch in
England einzubürgern, sein Entstehen verdankt. Herbert's
Fresco ist wie viele desgleichen in England der Zer-
störung anheimgesallen, ein Verhängniß, das mit der
verhältnißmäßig guten Erhaltung der Fresken eines
Cornelius, Heß, Schnorr rc. in Deutschland in trauriger
Weise kontrastirt. Gut placirt sind zwei Bilder des
Prof. Carl Müller in Düsseldors: „Die Jungfrau und
das Kind vor einer Grotte" und „Die Jungsrau und
das Kind mit Joseph und einem spielenden Engel". Hier
zu Lande sind Heiligenbilder gänzlich außer Curs.

Englische Schriftwerke, wie z. B. Goldsmith's
„Viour oü VHreüolä", und französische Dichter wie
Moliere liefern die beliebtesten Themata. Naturalistische
und realistische Darstellung wird gleich hochgeschätzt.
Diese Bildergattung, einschließlich der Porträts und
Landschaften nehmcn drei Viertel der ganzen Ausstellung
ein; denn die Künstler sind allezeit gern bereit, den
eigenen Vortheil mit dem Geschmack des Publikums in
Einklang zu bringen.

Marinebilder sind entschieden mißliebig geworden,
trotzdem daß der erste Lord der Admiralität gelegentlich
des akademischen Festmahls zu erörtern suchte, daß See-
staaten vorzugsweise die schönen Künste begünstigt hätten,
und daß Englands Oberherrschast zur See auch puri
 
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