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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

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Hevesi, Ludwig: Wiener Brief, [2]: (Sezession - Künstlerhaus - Hagenbund - Spitzen- und Porträtausstellung)
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0169

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

mm«

Verlag von t. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XVII. Jahrgang 1905/1906 Nr. 21. 13. April

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgeweibeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

WIENER BRIEF

(Sezession — Künstlerhaus — Hagenbund — Spitzen- und
Porträtausstellung)

Der Ausstellungsfrühling hat wieder sein gewohntes
Füllhorn über uns ausgeschüttet. Oder, um mich gefähr-
licher auszudrücken, die Stadt ist an allen vier Ecken an-
gezündet, denn an vier Hauptpunkten schlagen die Flammen
der Ausstellungsfarben in die Höhe. Gehen wir zunächst
in die Sezession, die ihre XXVI. Ausstellung eröffnet hat.
Es sind, wie immer im Frühjahr, lauter Österreicher, wo-
bei freilich diesmal die Polen die Hauptrolle spielen. Krakau
ist heute ein wirkliches Kunstzentrum, wo die westeuro-
päische Neukunst, die ja mit dem Altern ihrer Bahnbrecher
wieder zahm zu werden beginnt, aus dem nationalen Ele-
ment her einen Einschlag von wohltuender Barbarei erhält.
Das ist noch ein Land, wo der Pfeffer wächst. Mir machen
sie immer Freude, diese jungen Turbulenzen, die mitunter
die Allüren von Sprengtechnikern haben, aber auch Talent
dazu. Da ist der Phantastiker Witold Wojtkiewicz, der das
»Pathos« wie einen in verlegenmachender Landschaft ver-
irrten Clown darstellt. Der Ansatz zu einem lustigen
Vogelscheuchenstil. Oder Vlastimil Hof mann (»Der Blinde«,
»Tauben«) ein ruppig zeichnerischer Maler, der sich die
Voraussetzungen abgewöhnt oder vielleicht nie welche ge-
habt hat, jedenfalls eigen aussieht. Und der Phantastiker
Miecislaus [akimowicz, der mit der härtesten Kreide, Faser
für Faser, Unheimlichkeiten zeichnet, z. B. »Hände«, das
»Ich« und ein Selbstporträt, das mir vorkam, als sähe ich
es durch ein Telephon. Dann Leopold Qottlieb mit Por-
träts, bei denen zweimal zwei sichtlich fünf ist. Wenn
sie nicht wirklich Talent hätten, ließe man sich gar nicht
mit ihnen ein. Und immer noch wachsen neue zu;
Wladyslaw Slewinski zum Beispiel, Henryk Szczyglinski,
Stanislaw Kamocki und so fort bis Karol Frycz, der seine
dekorativen Entwürfe vor knallender Fernwirkung gar nicht
mehr malt, sondern wie aus Schnitzeln von Buntpapieren
zusammenklebt; eine ganze Fronleichnamsprozession etwa,
und Pfauen und Perlhühner. Sie gehören zum Teil dem
Krakauer Künstlerbund »Sztuka« an, der hier mehrere
Zimmer belegt hat. Das Rückgrat bilden doch die neueren
Arbeiten längst geschätzter Originalmeister, wie Mehoffer,
Wyczolkowski, Ruszczyc, Falat, von denen sich als der
Salonmann Axentowicz abhebt. Ein fein zivilisierter Land-
schafter ist ihnen in Samuel Hirszenberg (Krakau) zuge-
wachsen, dessen sonnenbeschienenes Grün von Matten
und Laubwald eine besondere satte Wohligkeit hat. Und
als Bildhauer wächst jetzt von Jahr zu Jahr Ivan Mestrovic
(Krakau) empor, eine im Vollen wühlende Hand, die ja
Rodin nachtastet, aber schon Hervorragendes bringt. Einen
kreisrunden »Brunnen des Lebens« (Gips), von einem
derben Hochrelief umzogen, lauter Aktfiguren von pathe-

tischer Gebärdung, mit allerlei Zuviel und Zusehr, aber
echtem Temperament. Eine originell in Granit ausgeführte
Gruppe »Mutter und Kind« hat der österr. Kaiser angekauft.

Unter den Wienern treten die bekannten gesunden
Kräfte auch diesmal hervor. Josef Engelhart, der Vielseitige,
als Maler und Plastiker. Seine Malerei ist bald populär,
wie in dem Bilde jenes buckligen Harfenisten, dem er für
das Sitzen eine lebenslängliche Pension von fünf Gulden
monatlich aussetzte, der aber seither gestorben ist. Die
große Echtheit dieser Figur verleitet ihn nicht zu lokaler
Draufgängerei; man begreift, daß dieselbe Hand der durch-
geistigten mönchischen Künstlergestalt des Beuroner Paters
Wilibrord Terkate im schwarzweißen Benediktinerhabit so
völlig gerecht geworden ist. Mich persönlich freut es, daß ich
diesen Winter Engelhart zu Ludwig Speidel brachte, um
von diesem Niegemalten vor seinem Tode noch ein Bildnis
zu erhalten. Er hat sogar zwei gemalt, jedes in einer ein-
zigen Sitzung; die wechselnden Witterungen und auch die
schweren Krankheitszustände des berühmten Schriftstellers
gestatteten nicht mehr. Dennoch sind beide Studien sehr
interessant; ausgestellt ist diejenige, die das Modell in
mehr leidendem Zustande darstellt. Je näher dem Tode,
desto mehr pathetisches Leben. Dazu kommen zwei
vortreffliche Büsten Engelharts. Die seiner Frau, in Marmor,
verkörpert das Prinzip der Vereinfachung. Mit so wenigem
als möglich so viel als möglich auszudrücken. Es ist ge-
wiß bezeichnend für den Zug der Zeit, daß ein so realisti-
scher Künstler so stilistisch zu werden vermag. Allerdings
hat der Stil seine eigenen Lockungen, für begabte Men-
schen nämlich. Die zweite Frauenbüste ist wieder eine
ganz andere Abstraktion. Das Modell forderte zur Monu-
mentalität heraus, doch innerhalb des Dekorativen. Eine
strotzende Jugendlichkeit in gelber, glatt gehaltener Bronze,
das Haar in schwärzlich patiniertem Packfong, lauter groß
geschwungene Ringellocken. Wie das Kapitäl einer Säule.
Als Sockel dient eine Stele aus dunkelgrauem Granit. Auch
Ferdinand Andri ist stets auf ntues aus. Von den stili-
stischen Kirchlichkeiten der Herbstausstellung hat er sich
jetzt zu den Kindern zurückgezogen. Vier Kinderporträts
von seltener Duftigkeit und Lockerheit der Farbe, auch das
Persönliche der Modelle sehr gut erfaßt. Unter den übrigen
Porträts ist eins von Johann Viktor Krämer (Sektionschef
v. Sickel) besonders zu loben. Aufrecht, in voller Vorder-
sicht mit einer Wucht des Kolorits gegeben, die ganz aus
einem Gusse bleibt. Im Genre hat der in München
lebende Tiroler Rudolf Nißl einen Treffer, mit einem »St.
Georg«, der eigentlich nur ein Stilleben von Altsachen ist,
aber wie Menschenleben wirkt. Die geistvolle Malweise
vergeistigt das Objektive der Objekte. Ferner hat Ernst
Stöhr gute Stimmungsbilder, mit nackten Figuren, eine in
Mondschein, die anderen in Frühlings- und Sommersonne,
bei frischem Grün, das sich von frischem Blau absetzt;
 
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