Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

DOI Heft:
Heft 16 (2. Maiheft 1901)
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0184

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Tod Jesu", auf dem Wege zur Ver-
gessenheit. Ueber scine einstige Be-
deutung unterrichtet am beften das
ebenso gründliche wie anziehende Buch
vonG. Thouret, Friedrich der Große
als Musikfreund und Musiker (Leipzig,
Breitkopf und Härtel). Es schildert
Friedrichs Kämpfe mit seinem musi-
kalischen Vater und erörtert dann seine
Stellung zur deutschen, italienischen
und französischen Musik. Während
Friedrichs literarische Neigungen
durchaus französisch waren, liebte er
in der Musik zwar den italienischcn
Stil, aber nur in Werken deutscher
Komponisten. Die protestautische Kir-
chenmusik lehnte er für seine Person
ab. Jhm sehlte der mystische Sinn,
ja er soll sogar den Choral „Nun
ruhen alle Wälder" sür ,dummes
Zeug"' erklärt haben, trotz der schönen
Melodie. „Weil er den Texl nicht
mitempfinden konnte, lietz er auch die
Musik fallen", erklärt Thouret sehr
einleuchtend. Für seinen jedem Dogma
abholden Standpunkt war weder
Bibel noch Gesangbuch eine Quelle
innerer Erhebung. Aber scinen Sol-
daten lietz er die alten Kernlieder und
sagte am Morgen von Leuthen, als
die Preutzen ihre Choräle sangen, zu
einem General: „Meint Er nicht, datz
ich mit solchen Leuten heute siegen
werde?"

Unter den Opernkomponistcn waren
Friedrichs Lieblinge Hasse, den er ver-
gebens an seinen Hof zu ziehen suchte,
und Graun, scin Leibkomponist, dcr
uns folgendermatzen charakterisiert
wird: ,Seine Krast lag nicht im Dra-
matischcn sondern im Melodischcn, ihm
fehlte die Jndividualität. Seine Mc-
lodik abcr ist wirklich bedeutend. Den
Zeitgenossen genügte sie; sie erquickten
sich daran und sühlten sich durch sie
erhoben, wie wir von Mozart oder
Wagncr. Datz bci Graunschen Arien
Thränen der Nührung slossen, erscheint
uns beim Lesen der^Noten kaum
glaublich, aber sie wurden geweint.

Aunstwart

Die Stärke der Graunschen Melodik
lag im Weichen, Lieblichen und
Rührenden, und es wäre ein Leichtes,
Dutzende von seinen Arien anzuführen,
deren Mclodic voll sützen, keineswegs
sützlichen Wohllautes ist". Thouret
gibt einige Proben, auch aus der
Balletmusik, wozu ich bemerke, datz
der zweite (ll-ckur) Teil der reizenden
Chaconne aus „Montezuma" (t?ss)
genau mit einer Melodie in Glucks
„Maikönigin", die demselben Jahre
entstammt, übereinstimmt. Wer hat
nun entlehnt? Schlietzlich kommt der
Verfasser zu dem Ergebnis: „Grauns
Opern sind tot, und es wäre nicht
müglich, auch nur eine einzige wieder
auf die Bühne zu bringen'".

Das Buch handelt noch über des
Königs Kammerkonzerte, über seine
Musiker (Quantz, Philipp Emanuel
Bach, Fasch, Fr. Benda); es bespricht
seine eigenen Leistungen als aus-
übender und schafsender Künstler und
fatzt seine Kritik dann in die Worte
zusammen: „Als Flötenspieler und
Komponist stand Friedrich über dem
Dilettantismus. Seine Werke sind
nicht blotz historische Merkwürdigkeiten,
sondern gediegene Arbeiten eines
durchgebildeten Musikers, aber ihre
Hauptbedeutung liegt auf persönlichem
Gebiete." Bei aller Freude an der
flietzenden italienischen Melodik wollte
Friedrich doch auch die Sorgfalt des
Satzes nicht missen. Nicht umsonst
war ein deutscher Kantor sein Musik-
lehrer gewcsen. Jn hohem Alter sagte
er einmal zu Fasch: „Es freut mich
immer, wenn ich finde, datz sich der
Verstand mit der Musik zu schaffen
macht- Wenn eine schöne Musik ge-
lehrt klingt, das ist mir so angenehm,
als wcnn ich bci Tische klug reden
höre." — Das sesselnd geschriebene,
lehrreiche, mit vielen Jllustrationcn,
Faksimilicn und Notenbeispielen aus-
gcstattete Buch kann unbedingt em-
pfohlen werden. R- B-

— >6» —
 
Annotationen