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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

DOI issue:
Heft 21 (1. Augustheft 1901)
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Marsop, Paul: Von den Erbfeinden der Bayreuther Kunst: Rückwärts oder Vorwärts?
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https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0365

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antiwagnerischen Konzertdusel wieder einmal ausdeckte: das schien Allen
mehr oder weniger ungelegen zu kommen. Just aber, weil es dcn
Herrschaften so peinlich und unbequem ist, vor das »Entweder — Oder'
gestellt zu werden, muß ich die betreffenden Sätze von Neuem ab-
drucken lassen:

„Die Zukunft der großen deutschen Musik liegt im Tondrama
beschlossen. Eben in den Konzcrtsälen leben wir von der Vergangcnheit,
allerdings von einer bedeutenden: von Beethoven und denen, welchen
er den Odem einblies. Bei aller Gegensätzlichkeit ihrer Naturen sind
Liszt wie Brahms Ausläufer der Beethoven - Epoche. Diese Epoche aüer
ist von derjenigen Wagners abgelöst worden; seit Wagner haben wir
eine Kunst der Gegenwart. Bei gekräftigtem Volksbewußtsein strebt
man jetzt auf allen Gebieten nach einer solchen Kunst. Nur ein Tropf
mag wähnen, daß die Meisterwerke Beethovens je veralten könnten: aber
auch Dürer und Holbein, Wolfram von Eschenbach und Walther von
der Vogelweide werden nie »veralten«, werden stets Weckrufer und
Hcrolde dcs dcutschen Jdcalismus blciben — jedoch die Führerschaft im
Kampf um die höchsten Güter mußten sie naturgemäß an später Geborene
abgeben. . . . Ziehcn wir dankbar die Summe des scheidenden Jahr-
hunderts, aber bedenken wir, daß wir in ein neues hineinschreitcn.
Das musikalische Jdeal des Mannes, der sich, wie Faust, in seinem
Studierzimmer eine Welt erschuf, ist die Spmphonie. Das Jdcal des
Mannes, der den Deutschen abermals auf blutigen Schlachtfeldcrn die
wälschen Bande sprengen sah, das Jdeal künstlerisch und uational
Gesinnter, die sich nicht mehr damit bcgnügen, mit Zeus im Himmcl
zu wohnen, sondern von der nahrungsproßenden Erde ihren Teil nehmen
und behaupten, ist das musikalische Drama. Seitdem Jung Siegfried
zum erstenmal auf der Szene sein Schwert schmiedcte, seitdem sind die

Bayreuther Spiele die eigentlichen deutschen Musikfeste."

*

Warum vermied man es, zu vorstehenden Sätzen Stellung zu
nehmen? „Man" wünschte von den hochwcrten Zeitgenossen nach wie
vor als Wagnerianer angesehen zu werden. Man wäre dem Fluche
der Lächerlichkeit anheimgefallen, wenn man Wagner alsbald den Nücken
gekehrt hätte. Andererseits begann es auch den minder Einsichtigen
aufzudämmern, daß unscr wenn auch mit noch so fortschrittlich bunt-
schillerndcn Flittern aufgeputztes Konzertwesen der nachwagncrischeu Jahre
doch kein lebendiger, von warmem Lebcnsblut durchpulster, sonderu ein
künstlich galvanisiertcr Organismus sei. Nur daß jetzt an Stelle der
eisgrauen, die Zeitmaße sür Kompositionen von Nietz oder Ferdinand
Hiller an den Gliedern der Uhrkette ängstlich abfingernden Männchen
elegante, kunstwisscnschaftlich und philosophisch geschulte, von vielfach
geteilten Violinen umschwirrte Neuromantiker auf dem Kapellmeistersitz
thronen. Die Logik, das Gesetz der naturnotwendigen künstlerischen
Entwickelung, die „Phantasie mit allen ihren Chören" hatten für das
Festspielhaus entschieden. Aber das liebe Geld, das Fortkommen, die
Ehrenstellen! Sollte man's, konnte man's mit den Verlegern, mit den
Musikagenten, mit den geruhig und bienenfleißig fortdirigierenden und
komponierenden Beherrschern des Konzertsaales, mit all' diesen „wirt-
schaftlich Starken" verderben? Da drückte man sich dcnn schcu, wie

I. Auaustheft

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