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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

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Heft 22 (2. Augustheft 1901)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0449

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ernste äutzere Verhältnisse unbedeutend
werden müssen und dah das sogenannte
Kunstmärtyrertum nur da Platz findet,
wo unklares Wollen vorherrscht mit
Ehrgeiz gemischt. Ein wirklicher Künstler
kann gar kein Kunstmärtyrer sein —
wenn auch die Lebensmisere, die er
ja mit allen Sterblichen gemeinsam
zu tragen hat, ihn verfolgt; gerade in
seinem Schasfen ist ihm etwas gegeben,
was ihn aus dem Zufall der Gescheh-
nisse erhebt. Dadurch, dah ein Gott
ihm gegeben, »zu sagen, was er leidet«,
aber auch zu sagen, wie er sich freut,
zu offenbaren, was er schaut und hört,
er hat schon seinen Lohn. Durch die
Gaben, die Gott oder die Natur ihm
gegeben, wird er selbst zum Gebenden.

Freilich ist eS ein grohes Glück,
das nicht jederzeit beschieden ist, wenn
Nehmende vorhanden sind, die vom
Künstler sagen können, das, was er
uns gibt, ist unscr Eigenes — wenn
aber solche Zeiten eintreten, so sind
cs Zeiten hoher Kunstblüte, wir habcn
dann eine Volkskunst-

Zum Trost für solche, die nach
groher Kunst dürsten und fich in ihrem
Drange nach grohem Wirken beengt
sühlen durch äuhere Verhältnisse,
möchte ich ein Wort DürerS beifügen:

»-daraus kummt, dah Manicher

etwas mit der Federn in ein Tag auf
ein halben Bogen Papier reiht oder
mit seim Eiselein in ein klein Hölzlin
versticht, das wird künstlicher und
besser denn eins Andern groh Werk,
daran derselb ein ganz Jahr mit
höchstem Fleih macht. Und diese Gab
ist wunderlich — denn Gott gibt ost
Einem zu lernen und Verstand, etwas
Gutes zu machen, desgleichen ihm zu
seiner Zeit Keiner gleich erfunden
wirdet und etwan lang Keiner vor
ihm geweht und nach ihm nicht bald
einer kummt-«

Wie schwer es ist, über derartige
Kunstfragen etwas zu sagen, dah cs
nicht allzu trivial klingt oder dah man

sich nicht in Widersprüche verirrt —
ebenso gut das Gegenteil von dcm
sagen könnte, was man gesagt hat, ja
um seine Meinung ganz auszudrücken,
wohl auch das Gegenteil sagen muh:
das sehe ich nun beim Weiterschreiben.

Wenn wir bei der jetzt viel erör-
terten Volkskunst sagen — dieses ist
eine Kunst, die vom Willcn eines
Volkes getragen ist, die der Ausdruck
seines Fühlens und Empfindens ist,
so ist dies wohl richtig — aber man
könnte gerade so gut sagen und hätte
auch die Erfahrung einigermaßen auf
seiner Seite, wenn man sagte: Volks-
kunst schafft nur einer, der sich gar
nicht darum kümmert, was daS Volk
sagt und will, der es aber versteht,
die Regungen seiner eignen Seele in
eine Kunstform zu bringen, — ja, man
könnte auch etwas paradox aber nicht
ganz unrichtig sagen: Volkskunst schafft
nur der, der etwas ganz Anderes
macht, als was das Volk verlangt.

Freilich ist der Volksgeist eine so
grohe und so undefinierbare Sache,
die man ja nie mit den als Partei
auftretenden Strömungen verwechseln
soll. Bildet sich nun eine Vereinigung
zu dem edlen Zwecke, das Gute in
der Kunst zu fördern, so ist die Gefahr
vorhanden, dah in derselben nicht dcr
Volksgeist zur Herrschaft kommt, son-
dern ein aus persönlichen Meinungen,
wohl auch aus Theorien zusammen-
gesetzter Parteigeist — ein Geist, der
als öffentliche Meinung wohl zeitweise
obenauf schwimmt, der aber von den
Tiefen des Volksgeistes immer wieder
verschlungen wird —erlöst wird. Der
oft gehörte Ausdruck, dah die Kunst
aristokratisch sei, ist gewiß richtig —
kann aber sehr wohl zu falschen Dingen
führen, wie fast alle Aussprüche der
Art es können; wenn der Künstler
darüber in einen Geisteshochmut
hineingerät und sein »Oelfarben auf
die Leinwand streichen« für gar zu
kulturbedeutend hält — so — nun, so
ist er eben nicht mehr aristokratisch.

2. Augustheft
 
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