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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

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Heft 22 (2. Augustheft 1901)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0450

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Thun und Wirken als Ausdruck
eines ruhigen, in sich gegründeten
Seins, ohne vorgesaßte Absicht, damit
die Welt beglücken, belehren zu wollen
— ein frohes Spiel der in ihm liegen-
den Kraft — ohne immer an dem
Bewußtsein einer Endabsicht, eines
Zweckes dieses Schaffens anzustoßen,
das ist das Wesen eines Künstlers.

All den Zwecken und Absichten, die
das Tagesleben der Menschheit be-
wegen ist, die Kunst das Entgegen-
gesetzte — in solchem Sinne ist sie das
Nutzlose, und wer nicht tiefer einge-
weiht ist in die Notwendigkeit, aus
der doch gerade die Kunst entspringt,
mag sie auch so nennen.

Vereinigungen können auf den
Gang der Kunst keinen Einfluß haben,
und sie sollen es auch nicht; echte
Kunst läßt sich niemals gängeln, und
wenn solche Vereinigungen sagen, hier
ist sie, so ist sie oft doch ganz wo
anders. Vereinigungen können aber
die oorhandene Kunst verbreiten, sie
können sie zu einem geistigen Genutz-
mittel machen, das möglichst Viele
haben können, und das wird voraus-
sichtlich was Gutes sein.

Volkskunstl Jede tiefgegründete,
aus echter Empfindung entspringende
Kunst ist Volkskunst — sie sollte eigent-
lich nur als Gegensatz zur Parteikunst,
zur Modekunst so genannt werden —
aristokratische Geister, ich meine unab-
hängige, in sich gegründete Persönlich-
keiten, werden sie auch immer als
solche cmpfinden und erkenncn. Man
soll nicht sagen, sie wird siegen — sie
ist die Siegerin-

Kunstsinnige Jtalienfahrer bringen
sehr oft, wenn sie in all den Herrlich-
keiten einer Kunstblüte geschwelgt haben,
wenn sie den Zusammenklang, der in
diesem glücklichen Lande zwischen Natur
und Kunst sür sie besteht, empfunden
haben, eine große Mißachtung gegen
deutsches Wesen und deutsche Art mit
sich — und es ist mir auch nicht viel
besser gegangen, als ich vor Jahren
llonstwart

im Frühling von dort zurückkehrte;
ach, diese langgestreckten Flächen, diese
einförmig dunkeln Tgnnenberge, die
Lüfte, in denen ein wässeriges Grau
stets vorherrscht, sogar die im Maicn-
schmuck sich auSbreitenden Wiesen woll-
ten mir gar keinen Eindruck machen,
als ich den ersten Ausflug von Frank-
furt ineinbenachbartesDörflein machte.
Jm einsamen Wirtshaus kehrten wir
ein, uninteressant gekleidete Männer
saßen am ferneren Tische im Wirts-
garten unter den Mirabellen- und
Zwetschgenbäumchen. Apfelwein statt
Chianti — ich war noch ganz abwesend
im Lande meiner Sehnsucht.... Da
mit einmal erhoben die städtisch ge-
kleideten Männer ihre Stimmen und
sangen vierstimmig das alte Lied:
»Es waren zwei Königskinder« — und
diese Töne, dieser herrlich geordncte
Gesang sagten mir auf einmal, was
Deutschland ist —ja sogar, rvas deutsche
Kunst ist, was sie sein kann. Dic
Sänger waren vier Lehrer, die ihrcn
freien Nachmittag da zubrachten. Sie
sangen noch mehrere herrliche Lieder,
so ganz nur für sich. Jch wagte auch
gar nicht, ihnen zu danken, sie haben
ja nicht meinetwegen gesungen. Dank-
bar still ging ich von dannen, ein froh
Zufriedener, daß er die Gemeinschaft
mit der dcutschen Volksseele wieder ge-
funden hatte.

Freilich handelt es sich hier um die
bildcnde Kunst, und da ist manches
anders als in der Musik und Dichtung

— sie mutz aus schwererem Material
schaffen; aus diesem mutz sie Formen
bilden, und da braucht sie wohl einer
kräftigeren Hilfe, ciner grützeren Teil-
nahme, als ihr bisher zuteil geworden,
sie bedarf vor allem eines intimeren
Verständnisses für ihr ganzes Wesen

— ein allgemeineres Erkennen dessen,
was sie cigentlich kann und will — sie
setzt eine Augen- und Sinncsfreudig-
keit voraus, von der wir doch noch
ziemlich weit entfernt sind. So fällt
sie vom Naturalismus in den Sym-
 
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