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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

DOI Heft:
Heft 23 (1. Septemberheft 1901)
DOI Artikel:
Bartels, Adolf: Wilhelm Raabe: zu seinem siebzigsten Geburtstage
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https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0456

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14- Iakrg. Erstes Seplemberkefl lyoi. Heft rz.

Milkelrn Raabe.

Zu seinem siebzigsten Geburtstage.

Ein Literaturhistoriker und Kritiker soll keine Liebeserklärungen
machen, ich iveiß es wohl, aber ich kann mir nicht helfen: Wilhelm
Raabe habe ich von Jugend auf geliebt, liebe ihn noch und werde ihn
sicherlich mein Leben lang lieben. Wenn ich an ihn denke, dann sehe
ich mich selber sofort wieder, wie ich jung war, in meiner Schülerbude
auf den zwei Hinterbcinen eines Stuhles sitzend, die Füße auf meinem
Arbeitstisch, dies nämlich in Ermangelung eines Sophas, einen der
älteren Bände von Westermanns Monatsheften auf den Knieen und
mit einer ungeheuer langen und dicken Pfeife auf dem Stubenboden das
Gleichgewicht haltend. So habe ich Wilhelm Naabe zuerst genosfen, vor
allem die kleinen Erzählungen, die dann im „Regenbogen", in den
„Krähenfelder Geschichten", jetzt in den „Gesammelten Erzählungen" zu-
sammengestellt sind, und ich will nicht unterlassen zu erwähnen, daß ich
dabei in die Gasse einer Kleinstadt, die nicht sehr viel anders war als
die Kleinstädte Wilhelm Raabes, hinab- und in den nun frühlings-
grünen, nun schneebedeckten Garten eines quieszierten Apothekers hinüber-
blicken konnte und selbcr ein ebenso armer Teufel war, wie die meisten
Helden des Dichters. Als ich dann in dem „verlorensten Semester"
meincr Leipziger Studienzeit mich, anstatt Vorlesungen zu besuchen, auf
die alte Linckesche Leihbibliothek abonniert hatte und täglich meine drei
Bände deutscher Dichtung verschlang, auch da war mir die Raabe-Lektüre
ein Fest, und seitdem ist kein Jahr vergangen, wo ich nicht das eine
oder das andere Werk des Dichters erstmals oder abermals gelesen
hätte — er ist ja, Gott sei Dank, fruchtbar, und wer sich darauf versteifen
wollte, jede Woche weiter nichts als einen Band Raabe zu lesen, der brächte
mit ihm das Jahr gerade herum. Es gibt übrigens in Deutschland, wie
ich bestimmt weiß, einige Leute, die dies thun, und wenn ich — ein
„mäßiger" Gutsbesitzer wäre, so würde ich möglicherweise zu ihnen gehören.

Aber in meine Jugenderinnerungen schrillt die Gegenwart: Viel-
leicht blamieren wir uns alle mit unserer Raabe-Begeisterung. Hören

Kunstwart t- Septemberheft tdvt
 
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