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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

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Heft 23
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Kretzer, Max: Objektivität und Subjektivität in der Dichtung
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0364

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charakteristische Verkörperung des Inhalts. Bei Goethe
ist der wohlklang allerdings etwas völlig Lharak-
teristisches, aber die musikalische Formsprache, die so
sehr dem lyrisch-subjektiven wesen seiner Dichtung ent-
spricht, dürfte sich kaum mit dem mehr episch-drama-
tischen und objektiven Lharakter einer realistischen
jDoesie decken. Der aus musikalische wirkungen vor-
nehmlich ausgehende Vers bedeutet immer nur eine
Linseitigkeit und sowohl Shakespeare, wie auch die
griechische s)oesie stellen statt des gefühlerregenden
Rlanges malerische und plastische Llemente in den
vordergrund. Die Bedeutung der realistischen Form
liegt darin, daß sie von Neuem den kennzeichnenden
2lusdruck aufsucht, statt einer allgemeinen blassen und
glatten Schönheit dem Gharakteristischen nachftrebt
und das Nauhe, wilde auch mit rauhen und wilden
worten sagt. Sie wird wieder beweglicher sein, die
vorwiegende Herrschaft des Neimes, die bei Goethe
sichtbar, vielleicht untergraben, das Nhythmische besser
ausbilden und nicht mehr die Lhrfurcht haben vor
einer bestimmten, schablonenhaften Aufeinanderfolge
oon j)amben, Trochäen usw., an welche man durch
Geibel gewöhnt ist. Das sogenannte Lnjambement,
das k^erüberziehen des ersten Verses in den zweiten,
welches den Reim oft zerdrückt, aber den Nhythmus
außerordentlich beweglich macht, wird sich einbürgern,
trotz der Theorie, welche so oft und so heftig dagegen
angekämpft hat. INag dieser Rampf um den neuen
Vers ausbrechen, wann er will, die Zuversicht kann
man sicherlich hegen, daß auch diesmal die dichterische
Rraft die Siegerin bleiben wird, daß sie alle Schran-
ken, welche ihr die Vertreter des Alten ziehen wollen,
durchbricht und ihre Form gleichberechtigt neben die
der klassisch-romantischen j)eriode hinstellt.

Mldende Ikünste.

* ZnsNs „velazquez" als lkompendinm
praktlseber Nestbettli. m.

Delazquez.

Leine ersten werke geben uns den Tindruck einer
kühlen, besonnenen, ganz auf Lrfassung der sichtbaren
Trscheinung in ihren großen Derhältnissen und be-
sonderen Feinheiten gerichteten Rünstlernatur (I, t l2).
— Don den Borrachos, dem Bacchus inmitten der
Trinker, heißt es (I, 259), sie seien griechischer viel-
leicht als der Maler selbst gewußt hat. . . . Nur ist
hier alles aus dem prestissimo des hellenischen Aomus
in das Lento spanischen phlegmas übersetzt. — Die
Schmiede vulkans (I, 302 fg.) ist ein Bild ganz
nach des Rünstlers kqerzen, ein Bild, wie es sich der
Maler wünscht, wenn er einmal frei athmen und die
Runst um der Aunst willen ausüben will. Sein und
Schein, die Renntnis der Nkuskulatur und die tVahr-
heit der äußeren Schale, sind in gleicher weise be-
rücksichtigt; hier ist die Linie der Naturwahrheit
zwischen gelehrt plastischer oder anatomischer Härte
eines Attchelangelo und malerisch wsicher Unbestimmt-
heit bei den venezianern . . . Athletische Araft ist
hier mit einer Gekonomie in der Akasse bestritten, die
von der Anochen- und Fleischexpansion gefeierter Stil-
maler auffallend abweicht, bei deren Aienschen es
zuweilen den Anschein hat, als hätten sie zuviel an
sich selbst zu schleppen. — Zn der Übergabe von
Breda drängt sich Alles, was die dargestellten star-

ken, klugen und kühnen Männer gearbeitet haben —
mit jener Veste als Rampfpreis — in einem Nloment
voll natürlichen pathos, einem militärischen Sakrament
gleichsam, zusammen (I, 366 fg.) ... Ls hat frei-
lich Rritiker gegeben, denen es schon ärgerlich gewesen
wäre, daß velazquez nur den 6. Iuni t623 malte.
—- Dafür aber enthalten auch wenige kststorienbilder
fo wenig Geistloses (d. h. phrase und Schablone); an
wenige ist soviel Geist (künstlerisch und menschlich) ge-
wandt worden; wenige geben so viel zu denken, und
noch wenigere lassen wie dieses einen Rünstler von
wahrem Geistesadel erkennen. — Unbedingte Be-
wunderung wird seinem Rruzifix in S. placido zu
Madrid gezollt (I, Hts). Die Durchbrechung der
strengen Lxmmetrie durch das über die eine Hälfte
des Gesichts herabfallende üaupthaar, wird als der
eine, dem Rünstler durch einen Zufall aus dem un-
bekannten, unbewußten Dunkel der schaffenden phan-
tasie in den pinsel geflossene, dämonische Zug des
Bildes bezeichnet . . . Velazquez, der besser als irgend
einer zu wissen glaubte, was dazu gehört, um auch
den einfachsten Gegenstand „gut zu malen", d. h. der
Natur nahe zu kommen, konnte wohl nicht im Lrnst
unternehmen, ein Rruzifix naturwahr, wahrscheinlich
darzustellen. Das läßt sich nicht erdenken. Noch
weniger traute er sich zu, den Ausdruck des sterben-
den Gottes mit dem pinsel zu erreichen. Lr ver-
traute, daß hier das Gefühl der Runst entgegen-
kommen werde, welches in dem Angedeuteten oft mehr
liest als in dem Ausgesprochenen. — Über die Bil d-
nis kunst des Meisters wird am Anfang des 2. Ban-
des ausführlich und eingehend gehandelt. Mit den
Venezianern gehört er zu den Roryphäen des großen
Stils, der auf dem großen Zug der Linien beruht, in
Gestalt wie Antlitz, auf der breiten Anlage der Flächen,
auf der Linheit des Motios und der strengen Unter-
ordnung der Linzelheiten ... Lr hat immer die
ganze Figur, stehend, im Auge gehabt, auch wo er
bloß L)albfiguren oder Büsten malte (3). Velazquez
war vielleicht der erste Tharakteristiker unter den
Neueren, eine Ligenschaft, die nicht so häufig ist, als
man denkt... Lr malt den Tonus der Neroen,
die „Mischung der Säfte", die Dosis von Lisen und
Galle im Blut, das (Puantum x,on weisheit und
Narrheit im Verstand (6). Ltatt seinen Nlenschen so
aufzufangen, wie die Lrregung der Gesellschaft, der
Wunsch zu gefallen sie belebt, läßt er sie sozusagen
auf ihr einsames Selbst zurücksinken, wo jene günstige
Lpannung, jenes Arrangement der Züge verschwindet.
Sie scheinen sich um kein fremdes Auge zu kümmern,
auch um das des Malersnicht, welches auf ihnen ruht.. .
Lie stehen fast immer seitlich gekehrt, in Dreiviertel-
ansicht, den Maler mit zurückgewandtem Blick fixirend,
und deshalb auch dem Betrachter überallhin folgend.
Lin solcher Leitenblick macht den Lindruck des Ltolzes,
wo nicht der verachtung . . . Dem Ltolz liegt nichts
daran, wie er erscheint, er ist sich selbst genug wie er
ist, „er bewirbt sich nicht viel um den Beifall anderer",
wie Rant von den Spaniern sagte, denen er Hoch-
mut zuschrieb . . . Man muß ihn als Ganzes akzep-
tiren, mit Lichtern und Lchatten (7 fg.).

Durch seine Bildnisse im Freien wurde er auf ein
besonderes Prinzip der Beleuchtung und Farben-
gebung geführt. Den Gegensätzen der Beleuchtung

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