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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

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Heft 7 (Aprilheft)
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Schumann, Wolfgang: Zusammenschluß!
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0022

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leiser. Wir haben indessen Zeit gehabl, dem ersien senrigen Schlag der Herzen die
ruhige Besinnnng nalhzuschicken. Was selbstversiändlich schien, wurde allmählich
Problem. Es verdroß uns nichi, mii scharfem Denken alles zu übersinnen, tvas
einst ohne Erörierung vorausgesetzi lvurde. Da wir irotz allem und
allem mit unbeirrier Festigkeit an dem Gedanken der Eini-
gung festhalien, mußien lvir ihn auf die unwiderleglichste Erlvägung stellen,
die zu finden war. Eins vor allem ward bald deuilich: Es ist gefährlich, so zu tun,
als ob alles klar und kaum noch einer Erörterung bedürftig sei. Enitäuschungen
lauern hinier solchem Verhalien, und eS schwächt die Sirebekrafi der Beieiligien.
Hier handelt es sich nicht darum, uns einmal eine frohe geschichiliche Stunde mii
Böllerschuß und Fahnenschwenken zu machen. Es sol! eine Tai geschehen; sie soll
sich später bewähren; bewähren aber wird sich allein, waS von Anbeginn an mii
dem Willen geian wurde, guier Ernie vorzuarbeiten, allein, was aus der Einsichi
in die Wirklichkeii heraus entstehi und mii der Veraniwortlichkeii, die der Größe
der Aufgabe gewachsen und sich bewußi ist. Schwerlich lvird der Zusammen-
schluß — das Wort „Anschluß" klingi doch gar zu sehr nach Einverleibung! — voll-
zogen werden, wenn nur Rauschstimmung und zeiiliche Wünsche den Anirieb dazu
bilden; das Bestreben wird auf die höchste Probe gestelli werden: jahrlange Ge-
duld. Um so fester und iiefer muß es auf Kenninis der Wirklichkeii gegründei
und als geistig-seelisches Anliegen verstanden werden. Zeiigeschichiliche Hinder-
nisse können sehr viel dauerhafter sein als die flüchiigen Siunden enihusiastischen
ZusammentresfenS, und soll unser Begehren nichi zermürbi werden, so gili eS zu
begreifen: Siegen wird nichi das leichthin gesprochene Wori des Redners, sondern
die tief gegründeie Uberzeugung, welche die einzige wahre Noiwendigkeii der Welt
bedeutei, weil sie allein unüberwindbar ist.

Man behandeli den Zusammenschluß als angemessen-naiürliche Folge des Na-
iionalstaai-GedankenS, der Europa seii vielen Jahrzehnten beherrscht. Das liegt
nahe. Die französische Revoluiion und ihre gewaliigen Folgen brachen den herr-
schafilichen Bann, mischien die Völkerschichien, wirkten eine nie dagewesene Meh-
rung der VolkSzahlen. Die Jndustrie, solche Massen zu ernähren, brachte Ge-
schwindverkehr mii sich, rascher Austausch setzte mii eroberler Freizügigkeit ein.
Familie, Sippe, Siamm, Gemeinde und Heimai traien im Bewußisein der Men-
schen zurück; ihr Geslchikreis weiieie sich: Volk und Staat füllen ihn nun aus.
Die wachsenden Gruppen rücken an, rücken über die Grenzen; Berührung, Aus-
tausch, aber auch Fremdheitgefühle wachsen. Die Menschen werden sich bewußt,
in „Völkern" gruppiert zu leben; sie schätzen, betonen daö Volk-Sein, sie er-
wachsen und erwachen zum „DolkStum". Sie vermeinen alsbald diese Art der
Gruppierung befestigen, diese Gruppen umbauen und schützen und zu Geltung
bringen zu müssen, indem sie jedem Volk seinen Staat schaffen; und ein Siaat
gilt forian nur dann als gui, wenn er eines Volkes Behausung und Panzer ist.
So haben jüngst Polen, Tschechen, Südslaven „ihren" Siaat bekommen, mag man
auch gewaltsam und ideewidrig ihre Grenzen über die Volksgrenzen hinaus-
geschoben haben; der Dielvölkerstaat der Habsburger aber wurde als brüchi'g zer-
brochen. Es ist einstweilen der letzie Sieg der Nationalstaat-Jdee.

Sollie diese nun für den Zusammenfchluß maßgebend sein? Es scheint vielleicht so.
Wer indeS Wirkliches denki, kann allein auf Wohlfahrt, Glück und Emporent-
wicklung der Menfchen sinnen, um die eS geht.

Eine Jdee nur „u m der Idee w i l l e n" durchsetzen, heißt nichi viel mehr, mls der
Phrase dienen. Und die Grenzen der Nationalstaat-Jdee sind ja deutlich genug. Diese
Jdee, abstrichlos gefaßt, würde befehlen, daß man die Schweiz zu zerschlagen
verfuche und an Jtalien, Frankreich und Deutschland aufteile. Wer denkt

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