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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

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Heft 8 (Maiheft)
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Bartsch, Rudolf Hans: Die Landschaft der deutschen Stube
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0142

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Worauf der Geiger anerkennend sagte: „Sakra, das mnß aber eine zahlreiche
Familie g'wesen sein."

Auch einen sehr berühmten Musiker kenne ich, der durch ein paar kluge Frauen-
hände aus einem wahren Saustall in jene höchste Kultur hineingewöhnt wurde (ge-
wöhnen und wohnen ist ja eins), die, bei ein wenig Zeit und Llebe, gar nichts
kostet. Sie kann weiche, ungestrichene Möbel und eintönig gesärbelte Wände hoch
über Mahagoni, Chippendale und Brokattapeten emporheben.

Jch verstehe auch nicht, warum, in einem kleinen Menschenleben, gigantische Vor-
gänge aus Bildern umherhängen sollten. Außer, die zu respektierende Sehnsucht des
Bewohners verlangk nach ihnen. Dann mag er sich meinetwegen seine Stube mit
Napoleons tapezieren lassen und es wird auch sehr lieb und heiter sein. Aber sür
uns Landschastsmenschen wird doch die Landschast, das liebe, alte Jnnenleben eines
Kleingartens, einer Bürgermeisterstube mit hellen Fenstern und Gardinen, ein paar
Malven am Wasserkübel, ein Taubensriede, oder ein Spitzweg-Blick ins stillweite
Sonnenland die trübe Stunde besser wegbegütigen, als der letzte Flaggenschwung
deS — sagen wir — englischen Heldenmatrosen Jan Waterproos.

Das ist es: Eine ganze Zeitspanne muß zusammengetragen sein. Eine große Ge-
schichte stillen Lebcns und BerzagenS. Jugendliebe und Jugenddarben, Jugendsiege
und Jugendirrtümer sollen mitgehen, alle mit ganz geheimen, ganz persönlich nahen
Erinnerungen. Kein Bild soll mir an die Wand, das nicht Bezug hat aus meine
Sehnsucht, aus meine Erinnerung, ja aus meine Niederlagen und Schmerzen.
Kommt noch ein tieserer Lebenseindruck, dann muß ein leichtes Siegeszeichen Platz
machen.

Man muß eben dann und wann seine Bilder umhängen. Jm Leben, wie im Zimmer.
Du wirsst eincn Bismarck hinaus. Oder du versteckst Jugendgeliebte vor dir selber.
Du gibst daS Matterhorn weg und hängst den Schrebergarten vor Berlin an dessen
Stelle. — Und, gottverdamnüch, tieser und schöner ist er; und höher sind seine
Pappelrosen und steiler. Und sein Friede ist, alles in allem, schwerer errungen als
jener Gipsel.

Jch schreibe das an einem unsagbar traurigen Tage.

Es ist so grau. Jch schreibe immer dann, wenn es draußen so zugeht, wie in mir.
Als die Spahen vor Wonne und Lebensüberschuß nur so kreischken, da habe ich ihre
Lehre niedergelegt. Jetzt ist der vierte FrühlingStag; und der vicrte Schnee lagert
und droben wartet ein sünster Schnee in lotterhast willenlosen Wolken. Sie werden
ihn gleich unter sjch gehen lassen. Dann stehe ich wohl einen Augenblick vom
Tische empor, aus dem ich dieses schreibe, und sche meine Wände entlang. Uud alle
lächeln und mein Leben war ties und schön, wie's da, cntsinnlich, dahinhängt. Ob
der Stefansiurm oder die Dachsteingletscher, ob Jtalien, ob Sievering bei Wieu.
Oder das „Salettel"? Oder der wundervolle Krebsenkeller, der wcltberühmt wäre,
wenn er nicht im entlegenen Graz italisch schön dahinträumte? Der Krebsenkeller, in
dem sich solch ein Tag mit Freunden abgrundtief unö himmelhoch besiegcn läßt!

Die grüne Goldkranzeltapete, die um Napoleon schimmerte, als cr unruhig die
Zimmer von Fontainebleau durchwanderte, sie leuchtet deutsch und waldeSruhig um
mich. Ganz gleich, jeht in den Tagen der Armut und des Alterns wie damals, da
ich sie als Wohnung Dan den Boschens und der kleinen Hannerl schilderte. Damals,
als Reichtuni und Liebe mir beinahc zuviel wurden, so überschütteten sie mich. Diese
Farben deS Waldes allein, tiessmaragden mit goldenen Sonncnblihen, sind mir treu
geblieben. Und wenig Menschen, die sterben würden, wenn ich stürbe. Und nm die
ich sterben würde, wenn sie mir sehlten.

So viel Honig kann eine deutsche Seele sür böse Zeiten an ihre vier Wände heimsen.

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