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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

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Heft 11 (Augustheft)
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Aussprüche von Egidy
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0330

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An Stelle dieser Furchtreligion, an Stclle dcr Furcht soll dle Frendlgkeit, dic Liebc
znm Gnten treten. DeSwegen also Erziehung nlcht mehr gedacht nur als Kinder-'
stuben- oder andere Angclegcnhci't, Erziehung nicht gedacht als eine Angelegenhei't
der guten Iltaniercn, als eine Angelegenheit der richtigen Handhabnng von Messcr
und Gabel odcr korrekter Derbeugnngen. Erzichung zum System erhoben, Erzichung
etwaS andereS als die heutige Dressur.

Erziehung heißt: dem anderen dienen, ihm dienen, indem ich seinen inwendi'gen Mcn-
schen sördere. Und was treibt mich dazu, dem anderen zu dienen? was treibt mich
dazu, besorgt zu sein um die Jnnenförderung meines Mit- nnd Nebenmcnschen?
Die Liebe. Weil ich ihn licbe, kann ich nicht anderS, als darauf bedacht sein, ihn zu
fördcrn, zu erziehen, und darin liegt die Berechtigung, daß jeder einzelne von uns
der Erziehcr, der Jnnenfördercr seiner Mitmenschen wird. Erziehen heißt dienen,
erziehen heißt lieben, und damit kommen wir zu den Anforderungcn, die wir an die-
jenigen zu stellcn haben, die da erziehen sollen oder erzichen wollen. Allcn voran
muß derjem'ge, der wirklich erziehlichen Einfluß auSüben will, lieben können, chrlich,
selbstlos, rein nnd keusch, alle scine Mitmenschen lieben um der Liebe willen.

Wer nur rechlhaberisch seine Anschauungen anderen beibringen will, wer nur mehr
oder weniger gewalttätig scine Ansichten oder seine Belehrungcn auf die andcren
ausüben will, der erzieht nicht, der macht seine Autorität oder seine Stellung den
andern gegcnüber geltcnd, er übt mehr oder minder Zwang aus.

Zu der Anleitung ist das Elemcnt der Erzichung die Klarheit über die Rich -
tung, — nicht über das Ziel, wcil wir ja kein Ziel kenncn. Für mich ist daü
Ziel am Ende der Richtung aufgestellt, in der Endlichkeit odcr Uncndlichkeit. Für
nns, für den strebendcn, für dcn nach Bcroollkomnmung ringeuden Menschen gibt
cs nur dic Richlung. Das ist der große Fehler in dcr Vergangenheit gewesen, daß
wir immer — gelcgentlich der Rcvolutionen oder Episoden der MenfchheitScntwick-
lung — Ziele aufgestellt haben. Das ist der große Fehler dieser Programm-Men-
schen in unserem Dolke, dieser Programm-Parteien, daß sie Ziele aufstellen und
daß sie jedem, der es wagt, mit scincn Gcdanken in dcrselbcn Richtung über das von
diesen Kommandeuren aufgcstcllte Ziel hinauszuschreiten, auf die Finger oder auf
den Kopf klopfen.

Es ist ja sehr gut, wenn wir die Kinder lchren, mit den alten Griechen zu denken oder
mit dcn alten Deutschen zu cmpfinden. Sie müssen aber auch lernen, nüt dcm
Herzen der Mitmenfchen zu denken.

*

Wir wollen Pcrsönlichkeiten, Charaktere, sclbständige Menschen, Kraftmenschen, ent-
schlosscnc Menschcn, natürlichc Mcnschen, gesundc Menschcn erziehcn. Wcr cino
Ahnung hat vom Wcsen der Leibesübungen, empfindet deren Bedentnng für die
Jnnenausbildung des einzelnen; wcr da weiß, worauf cs bei der Erziehung an-
kommt, der empfindct, welchen Einfluß die Leibesübungen auf unser Wesen habcn:
Gradheit, Bestimmtheit, Korrektheit, Fcstigkeit im ganzen Anftreten wird gcfördcrt.
Eü gibt kcine wertvollc Eigcnschaft im Mcnfchen, die nicht dnrch die Leibcsübungcn
gepflegt würde.

Jch denkc dabci kcineswegs nur an die mcchanischcn Muskelübungcn; mir stchen
die seelischen Momcntc allezeit höhcr. Das, was bei der Leibcsübimg in der Ge-
danken- und Empfindungswelt sich vollzieht, das ist daS eigentlich Erziehliche. Des-
halb steigert sich auch die erziehliche Bedeutung der Leibesübungen mit den seelischen
Anfordcrungen, die sie an uns stcllen, bis dahin, wo wir von ciner Lust an der

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