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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

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Heft 11 (Augustheft)
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Der Vater
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0337

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überslaubt spiegesnde Wasser der Befestigungsgräben an das ausgehende ^sahr gS-
mahnten — war plöhlich rauhes Wetter gekommen: Regen, Wind trieb die Leute,
die noch gestern vor ihren Türcn gesessen und im Freien ihre Arbeit getan, geseilk,
gehobclt, geschustert, Kupfer und Messing geklopft hatten, von den nassen Straßen,
in die Häuser hinein, in denen noch Wärme der letzten Tage war oder in deren sonnen-
losen Räumen fchon da und dort Kamine rauchten.

Breitenfchnitt hatte, als es in der Werkstatt dunkel wurde, zu arbeiten aufgehört,
zusammengeräumt und war anS Fenster getrcten, vor dem unablässiger Regen auf das
holperige nasse Hofpflaster rieselte. Die vom feuchten Atem des Wassers gesättigte
Luft, die mit der Dämmerung noch mehr als am Tage durch Fugen und Ritzen ins
Haus drang, machte ihn frösteln. Er starrte reglos, unbewegt hinaus, als wäre die
Stunde wie das Leben hicr mit ihm stehen geblieben und ginge nicht weiter. Er wußte,
daß solche Tage waren, kannte al! ihre Hoffnungslosigkeit, ihre tote Müdigkeit, und
wußte nach langen Erfahrungen, daß sie wohl grundloS kamen, daß sich aber manch-
mal in ihrem, jedc Sicht spcrrenden Grau Feindliches, Böses, BittereS: Sorge, Küm-
mernis, Leid, Gefahr herangefchlichen hatten. Jn früheren Jahren, als solche Tage
noch selten kamen, hatte er nach Gründen und Ursachen dafür in seinen Dingen gesucht
und oft genug einem nebensächlichen Ärger, einem kleinen Mißgefchick Schuld gegeben,
daß es ihm sein Gemüt verdüstcrt hätte. BiS er gewahr ward, daß an den gewöhn-
lichen Tagen ihm viel fchlimmere Dinge begegnen konnten, ohne daß es seiner guten
Laune, seinem behaglichen Sich-ganz-im-Leben-Fühlen irgend Eintrag tat. Er ward
nachdenksam und hatte manchmal einen Schwindcl, cin Erfchrecken, wenn er überall
nur unsichtbaren dunklcn Abgrund fand; mochte so sein, wic wcnn einer im Nachen
über nie ergründete Wasserstille hinfährt und an die Felsenfchluchten und Grundblöcke
denkt, die unter Spiegel und Sonnenglitzern, tief noch unter dem eingesunkenen Licht,
im Dunkel liegen.

Breitenfchnitt hatte solche Tage, die in manchen Jahren drückender waren, als wieder
in anderen, leichtercn, sonnigeren, stets geachtet, zumal er an ihnen kaum je seine
Arbeit recht hatte tun können, trotz allen FleißcS, den er hatte — weil sie ihn dann
ganz sinnlos dünkte, alles sinnlos dünkte, auch daß man lebe. Er fand zweierlei,
wenn er dem nachdachte: daß nichts helfe, als still und ohne Widerstreben zu warten,
bis irgendwo hintcr dem Schlaf ein AuSgang komme, von dcm aus das Erwachen
in cin andereS Licht führe. Er fand aber auch: daß dann, wenn ihn dieS Ersticktwerden
deS guten MuteS und der Freude überkam, oft genug auS diesen Schatten daS Feind-
liche ihn ansprang: Krankheit, Ärgernis, Nokstand. So brachte die Trübe gleich noch
die Sorge mit, was hinter ihrem undurchdringlichen Nebel sich verstccken niöchte für
eine Unbill: cin Lerlust, cine anbrechende schlechte Zeit oder Zank und böse Streiche der
Nachbarn. Schlecht Wetter kam auch gern dazu, wie heut.

DaS alles ging ihm durch seine Gedanken, als er in den Negen, den man bald vor
Dunkcl nicht mehr sehen würde, hinausstarrte, und er ward gewahr, daß, seit beide
Mädchen auü dem Hause waren, solche freudlosen Tage häufiger kamen und ein
vicl gränilicheres Gcsicht machtcn. Auch half es ihm nichts mchr, wenn er dann zu
seinem Weibe ging, mit ihr ein Wort zu sprechen — sie kam ihm längst vor, als
habe sie einnial früher gelcbk, geblüht, Frucht getragcn und sei dann Icer, von Worten
und anch Gcdanken schweigsam geworden und wolle nur noch die täglichc Arbcit tun,
aber nichts andcres mehr bcgreifcn. Sein Gedanke ging von der Mutter zu dcn Töch-
tcrn wcitcr, mit denen cr viclleicht hättc sprechen können, die ihn bcide vcrlasscn hatten.
Er gab sich Mühe, sich ihr Gesicht vorzustellen, sie innerlich vor sich zu sehen, was
abcr nn't kciner gelingen wollte. Eher konnte cr sich einbilden, ihre Nähe hinter sich
in dcr Wcrkstatt zu fühlen und zn denken, eine sei da und sehe anf ihn, auf scincn
Rückcn. Da fuhr cr erfchrcckt auf, denn es hatte an die Werkstattür geklopft.

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