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Kunstwart und Kulturwart — 26,2.1913

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1913)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: 1913
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https://doi.org/10.11588/diglit.14285#0016

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Iahrg.26 Erstes Ianuarhest 1913 Heft7

1913

ir treten in das größte Erinnerungsjahr unsrer Geschichte.
jGanz gewiß nicht wenigen unter uns wird beim Gedanken
daran ein Stoßgebet kommen: mögen die Fsiern, mögen die
Gedanken, die nun übers Vaterland gehn, nicht bloß Hall und Rauch,
lnögen sie Kraft bringen!

Wenn sich die Welt in jedem Hirn anders spiegelt, so gibt es auch
von der Zeit der großen Erhebung so verschiedene Bilder, wie Men--
schsn sie besehn. Aber auf drei Typen gehn alle zurück.

Der erste zeigt uns das Gemälde, dessen auch wir uns freuten, als
wir noch Knaben und Mädchen waren, und weite Ringe unsres Volks
freuen fich seiner noch heute. Ein Bild, umschmettert von Schlacht-
trompeten, umdonnert von Kanonen und gewoben aus Licht. Nur
der Untergrund, aus dem es aufstieg, ist Nacht: der korsische Tyrann
herrschte im Land, knirschend ertrug der Deutsche das Ioch seiner
ungeheuren Äbermacht, aber im stillen rüstete er sich, denn des
Preußenkönigs und der edeln Luise Geist, das wußte er: sie sannen
^ag um Tag, wann die Befreiungsstunde schlagen werde. Die Königin
erlebte sie nicht mehr, der König rief mit dem Manifest „An mein
Volk'* als herrlicher Führer zu den Waffen. Nun jubelt durchs Land
der Freiheitsstrirm. Was fortan hervortritt, sind Schlachten, Helden--
kämpfe bis zu jenem ohnegleichen, der Leipziger Völkerschlacht. Da-
Zwischen blitzt des Marschall Vorwärts volkstümliche Gestalt uns
unter den buschigen Brauen an, große, edle Fürsten ordnen alles
Völkerwohl aufs beste, und in Paris endlich blüht aus dem Schutt
des zertrümmerten Kaisertums Glück und Segen in die befreite Welt.
Vlles das füllt den Vordergrund. Nur weiter hinten, zwischen den
Kulissen, zeigen sich auch edle Bürgergestalten, Stein, Fichte und
andre Tüchtige, denen die Krieger von ihren Lorbeerkränzen Blätter
überreichen. So erscheint in diesem Weltbilde im wesentlichen das
Oeschehen. Einfach, kräftig, schön — aber auch bis in die Tiefen
wahr?

Die Frage bedrängt den regeren Kopf, und wie er ihr nachgeht, trifft
^ Gnttäuschungen. Er sieht, daß der Korse durchaus nicht überall
in Deutschland als Tyrann empfunden ward, daß man ihn im Gegen-
teu da und dort als Befreier bejubelte, daß man ihm vielfach willig
diente, ja noch über sein Verlangen hinaus bcdienerte, auch im Volk,
daß selbst deutsche Reformer Bündnisse mit ihm erstrebten, daß
deutschs Fürsten ihm bis zur Demütigung huldigten und jeden Ge-
danken der Auflehnung gegen ihn, wie selbst Preußens König noch
^2, in entrüsteten Erlassen verdammten. Erst als den Korsen das
Glück verließ, erst da kam ihnen der Mut, fast wie Treubruch sieht in
lolchem Lichte die nationale Erhebung aus. Ienes Dunkel vor den
^efreiungskriegen vertieft sich so, gewinnt eine andre Farbe, und Miß-
one schrillen daraus, die das Deutschtum zu entwerten scheinen. Nn-
_Zaghaftigkeit, Schwanken bei den Fürsten, Nndank gegen

I^Hänuarheft IAZ
 
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