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Kunstwart und Kulturwart — 26,2.1913

DOI issue:
Heft 7 (1. Januarheft 1913)
DOI article:
Avenarius, Ferdinand: 1913
DOI article:
Nordhausen, Richard; Avenarius, Ferdinand: Rechtsanwalt und Staatsanwalt
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14285#0020

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des Einzelnen durch den Staat, wie Steigerung des Staates durch
jenen. Immer wieder: Leib jür die neuen Gedanten und neue
Gedanken für den Leib. Das waren die immer wieder so oder fo
betonten Ideale. Sind wir über sie hinaus? Sind wir nur bei
ihnen? Sind wir ihnen wenigstens näher? . . .

Wenn wir die Gedenkzeit dieses Iahres einigermaßen wurdig
feiern wollen, würdig derer, die wir dabei zu feiern glauben-, so
müssen uns die Erinnerungen, müssen uns auch die Gedenkseiern
M Mitteln werden, unserseits für das zu wirken, was jenes
Geschlecht begonnen hat. R

RechLsünwalL und StaatsanwalL

/T«»' ewinnen Sie denn beim Knobeln immer?" fragte der Rschts-
« H^anwalt der Kreisstadt seinen Klienten, als der ihm wegen eines
»verlorenen Prozesses leise Borwürse machte. Die Stimmung, die
das zynische Wort durchweht, ist gottlob nicht allgemein in Deutschland,
und auch wo Verdrossenheit sich ähnlich oder noch schärser ausdruckt,
übertreibt sie bewußt. Uns steht die Hochachtung vor unsern Richtern,
ihrem Fleiß, ihrem reinen Streben, ihrer vorbildlichen Unantastbar-
keit zu fest. Ieder billig Denkende bewundert und ehrt die Männer,
die unter unerhörten Schwierigkeiten, durch ein veraltetes, für ver-
schollene Iahrhunderte bestimmtes Gesetz an Händen und Füßen ge-
bunden, doch mit redlichem Eifer der Wahrheit zum Siege verhelsen
wollen. Aber das Gewirr formaler Vorschriften macht das Rnter-
suchen sehr, sehr oft zum Würfelspiel und bildet die eigentliche Ursache
der wachsenden Abneigung gegen das Gericht. Ie einsichtiger und
weltweiser ein Mensch ist, desto ängstlicher hütet er sich davor, es an-
Zurufen. Nur die Prozeßhanseln, die Feuerköpse und die Spieler
lassen nicht locker. Sie sind an Zahl sehr beträchtlich; ihnen verdankt
der Richterstand die viel beklagte Zunahme seiner Arbeitslast.

Das toll verfilzte Gewirr von Formalitäten, in denen das einmche
Recht erstickt, dies meist mit Händen zu greifende, und doch künstlich ver-
schleierte und dem gesunden Menschenverstand entrückte Recht, hat der
Advokatur die heutige überlegene Stellung erobert. Hat sie unentbehr-
kich gemacht. Niemand, auch der hochintelligente Mensch nicht, darf
es mehr wagen, ohne Rechtsanwalt vor Gericht zu gehen. Gerade hohe
Intelligenz, die jcr erfreulicherweise häufig genug auch mit Güte und
Verachtung aller Schleichwege gepaart ist, bringt den Rechtsuchenden
in Gefahr. Indem er von sich 'auf andre schließt, hält er es für un-
möglich, daß vor Gericht mit niedrigen, ja gemeinen Waffen gekampft
werden kann und daß Formdinge entscheiden können, deren sach-
liche Gleichgültigkeit ihm sonnenklar ist. Tritt er einem Rechtsanwalt
gegenüber, der die sachlich unhaltbare Lage seines Schutzbefohlenen
genau kennt und eben deshalb hundert Winkelzüge, Seitensprünge,
Unwahrheiten wagt, so ist der adlig empfindende Mensch verloren.
Gewiß gibt es Richter mit feinem Lmpfinden für solche Lagen
sind das oft dieselben Richter, die einem ohne Verteidiger kommen-
den Angeklagten, einer des Rechtsbeistands entbehrenden Zivilpartei
von vornherein den besseren Glauben zubilligen. Aber der Wortlaut
des Gesetzes (und das Gesetz hat unglaublich viel Wortlaut) bannt

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