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Kunstwart und Kulturwart — 26,2.1913

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Heft 10 (2. Februarheft 1913)
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Lose Blätter
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14285#0327

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einseitige Verehrung Ellen Kehs halte ich darunr auch für eine Gefahr
sondergleichen. Mein Vater betont, daß es auf Naturen, das heißt auf
im ganzen unberechenbare Faktoren zu wirken gilt und nicht auf zu prä-
parierende Maschinen, als die sie sich die Menschen denkt. Ist etwa in der
Geschichte nicht jederzeit der Nückschlag erfolgt, eben weil der Natur
des Menschen nicht zn trauen ist?

Es ist zu schade, daß Frauen, die stndieren, oft zu akademisch gedrillt
sind und sich nicht in freiem, geistigen Aufschwung bewegen. Das fleißig
Lrworbene, emsig Zusammengetragene und regelrecht Verarbeitete reicht
mir bei weitem nicht an das „Eingeborene", „eigenst" Erfaßte heran.

Welche Wohltat ist es mir doch, wenn mir ein Freund durch Ruhe
Widerpart HLlt. Wenn beide solch Hitzköpfe wären wie ich, wir brennten
ja immer gleich lichterloh und wer sollte bloß löschen? Aber ich habe
das Gefühl, daß mit meinem lodernden Temperament, um deswillen mich
meine Lehrer „ihr liebes Füllen" nannten, ich zngleich das Beste in mir
verlöre, — die helle Begeisterung für das „darüber hinaus" über die enge,
dumpfe Sphäre der Konvention.

Vom tzeute fürs Morgen

mich nicht so viel von seinem
Angesicht lesen lassen, wie diese
eine Stunde, als er schlief.

Der Schlaf kommt — der Angen
Fransenvorhang fällt — das Stück
ist ans. Nein, im Gegenteile:
das Stück beginnt erst, wenn der
Fransenvorhang fällt. Das andre
Stück. Die Angen, diese glänzen-
den Komödianten, die am Lage
schanspielerisch die Bühne des Ge-
sichts beherrschten, sie sind abge-
treten hinter die Kulissen. Und wir
selber schauen hinter die Kulissen
eines Menschen. Was jetzt, nach
Sonnenuntergang, noch über die
Vühne seines Angesichtes zieht, ist
wahr, ist aufschlußreichste Wahr-
heit und hat keine Mätzchen. Ab-
gefallen ist die Toga der großen
Gebärde, zerflattert süßliches Ge-
lächel, zerschmolzen stolz verschlos-
sene Anbewegtheit — bloß liegt
die Seele.

All das Zurückgedrängte und
das Tagerstickte zuckt jetzt über
das Gesicht. Mild und Aeblich,

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Schlafende Gesichter

/^ahst du deinen Freund schon
„^-chchlafen? Erschrakst du nicht
darüber . . .?" sagte Nietzsche.

Ist das nicht merkwürdig: Wir
kennen jedes Fältchen im Gesichte
unsrer Frennde, unsrer Lieben,
wenn sie wachen. Iedes kleinste
Zucken der Schalkerei ist uns ver-
traut auf ihrem Angesicht. Doch
wir wissen nichts von ihrem schla-
fenden Antlih. Wenn es müde ist
und schläfrig, oder gerad erwacht,
schlaftrnnken, ja, da haben wir
es schon gesehen — aber es ist nicht
dasselbe, als wenn es schläft, wirk-
lich schläft.

Ich habe einmal in der Fremde
dranßen am Krankenbette eines
Freundes gewacht. Einschlafen sah
ich ihn nach langen Schmerzen.
Weit ins Traumland hinein ver-
folgte ich sein Antlitz. Alle Re-
gister der Pshche sah ich nach-
einander auf dem Angesicht ge-
zogen. Ich war erschüttert: Iahre
des täglichen wachen Sehens haben
 
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